Mal was Ernstes - Der Fall Kampusch

Kojote

dead serious lunatic
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Jan 31, 2010
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Ich habe gerade durch Zufall etwas bei Youtube entdeckt, Und wiederum durch Zufall drehte es sich bei dem Beitrag um den Fall Kampusch.
Nicht ganz so zufällig dachte ich mir, dass ich gerne mal wissen würde, wie die Meinung über die Sache und vor allem über die Vorwürfe, die immer wieder gegen Natascha Kampusch erhoben werden, hier so sind.

Hier der Link. Knappe 12 Minuten. Und ich mag das Format ganz gerne, glaube ich.
http://youtu.be/Qlc1LWARlTE

Nun… Zur Sache: Da ist also wohl andernorts die Rede davon, dass Natascha Kampusch womöglich gar nicht so unfreiwillig bei ihrem Entführer blieb. Und das es nicht angehen könne, wie sie mit dem Thema umgeht.
Die Psychologin in dem Beitrag nannte es ‚nicht die Erwartungen der Opferrolle erfüllen‘ oder so ähnlich. Mir kommt das seltsam treffend vor. Und ich muss mich auch über Kommentare zu diesem Thema bei Youtube wundern. Selbst zu kommentieren konnte ich mir natürlich nicht verkneifen.

Der Grund für mein Interesse liegt unter anderen darin, dass ich über eine Geschichtenidee brüte, die auch mit einer Entführung und ein wenig Stockholm-Syndrom-Thematik zu tun hat. Allerdings bin ich auch allgemein interessiert.

Ich erinnere mich noch daran, was ich damals gedacht habe, als Natascha Kampusch erstmals vor die Kameras trat. Ich habe gestaunt darüber, wie tough sie war. Und ich habe sie dafür bewundert, wie sie zumindest nach außen hin damit umging.
Ich fand es erstaunlich. Und ich denke mir auch heute noch, dass ich für sie hoffe, dass es sich nicht als Bumerang für sie erweist, dieses Thema nicht ablegen zu können. Dass sie nicht irgendwann feststellt, nicht immer ‚nur‘ die Entführte sein zu wollen. Das es ihr mit dem Rummel um ihre Person nicht ergeht, wie Marilyn Monroe, sozusagen.
Aber deswegen eine Verschwörungstheorie um ihre Person herum zu entwickeln…?

Ich meine… Wie weit muss man ausholen, um sich vorzustellen, dass eine 10jährige unglücklich genug in ihrem Elternhaus ist, um lieber bei einem Menschen mit einer Vorliebe für kleine Kinder zu bleiben, der sie in ein Kabuff steckt.
Sicher… Ich kann mir vorstellen, dass ein zerrüttetes Elternhaus dazu beigetragen haben könnte, in ihr eine Art Akzeptanz für eine neue Vaterfigur zu schaffen. Oder etwas anderes hat sie veranlasst, sich dem Willen des Entführers zu unterwerfen.
Ich meine… Sie war friggin ZEHN, als er sie schnappte. Da ist man sich seiner Rechte und Möglichkeiten noch nicht so bewusst. Da lässt man sich auch von Lehrern noch Sachen gefallen, die man als Erwachsener nicht akzeptieren würde und so.

Und wenn erst einmal die Gewöhnung eingesetzt hat und man nicht mehr infrage stellt, was einem ‚das Schicksal‘ beschert hat… Wenn man lange genug in der beschissenen Situation steckt…
Ihr Entführer wird ihr sicherlich nicht beigebracht haben, dass es Unrecht ist, was er ihr antut. Davon ist mal auszugehen.

Ich halte jede Verschwörungstheorie für ziemlich an den Haaren herbeigezogen.
Und ich finde es erschreckend, wie aggressiv manche Menschen darauf reagieren, wenn jemand nicht ihrer Vorstellung davon entsprechend handelt, wie ein traumatisiertes Entführungsopfer so drauf sein sollte.
Das ist ein komisches Verhaltensmuster. Nicht seitens Natascha Kampusch, sondern seitens ihrer Kritiker.
Oder wie seht ihr das?
 
Kojote, du sollst doch nicht bei Youtube Kommentare anfassen, die sind dreckig und man weiß nie, wo die zu vor herumgelegen haben.

Nein, ernsthaft. Der Fall Kampusch ist einfach sehr schwer nachzuvollziehen und zu begreifen, weil er sich einfach den Erfahrungen von uns normalen Menschen entzieht. Auch was die Psychotussi da erzählt hat, waren allenfalls Erklärungsansetze.

Wenn man es bei den Fakten belässt ist der Fall einfach.
Mädchen wird entführt, muss dem Entführer zuwillen sein und schaft es irgendwann sich von ihm los zureißen, worauf dessen Welt zusammen Bricht und er sich umbringt, während sie selbst relativ selbstbewusst aus der Sache heraus kommt.

Sobald man jedoch versucht ins Detail zu gehen, kommt man schnell an einen Punkt, wo man recht sinnfreie Fragen nach dem "was wenn" und dem "warum so und nicht so", stellt.

Tauschen wir das Entführungsopfer doch einfach durch eine andere neutrale Person, deren Leben gut dokumentiert ist, und befragen und kritisieren sie für den Speißeplan der letzten 8 Jahre. Letztlich wäre dies genau so sinnhaft oder sinnfrei, wie Natascha Kampusch für ihr verhalten zu Kritisieren, oder ihre motive und handlungen zu kommentieren.
 
Vorgemerkt. Danke. ;)

Kojote, du sollst doch nicht bei Youtube Kommentare anfassen, die sind dreckig und man weiß nie, wo die zu vor herumgelegen haben.
Ich spiel aba gern mit die schmuddelkinners... *Flunsch zieh*

Sobald man jedoch versucht ins Detail zu gehen, kommt man schnell an einen Punkt, wo man recht sinnfreie Fragen nach dem "was wenn" und dem "warum so und nicht so", stellt.
Genau. Und das ist der Punkt, wo es aus Autorensicht interessant wird. Und auch aus Sicht eines Menschen, der gern hinterfragt.
Ich würde mich gerne mal mit Natascha zusammensetzen und reden. Um sie zu verstehen. Ihre Denkweise nachzuvollziehen. Sie auch ein Stück weit reproduzieren bzw. übertragen zu können.
Ich mache sowas gerne, wenn es von der Person denn erwünscht ist. Und ich habe viele Erkenntnisse aus genau solchen Gesprächen gewonnen.

Tauschen wir das Entführungsopfer doch einfach durch eine andere neutrale Person, deren Leben gut dokumentiert ist, und befragen und kritisieren sie für den Speißeplan der letzten 8 Jahre. Letztlich wäre dies genau so sinnhaft oder sinnfrei, wie Natascha Kampusch für ihr verhalten zu Kritisieren, oder ihre motive und handlungen zu kommentieren.
Naja... Hinterfragen finde ich okay, solange man das wertungsfrei macht. Ohne ein Urteil darüber abzugeben, ob das jetzt gut oder schlecht von ihr war. Das kann sich in meinen Augen gerade bei ihr keiner anmaßen.
Und ansonsten finde ich es toll, so jemanden zu bestärken. Im Sinne von: "Mach dein Ding, Natascha. Tu, womit du dich wohlfühlst. Und sei stolz darauf und glücklich darüber, etwas derart Schlimmes überstanden zu haben. Bet wishes."
Sowas halt...
 
Ich meine… Wie weit muss man ausholen, um sich vorzustellen, dass eine 10jährige unglücklich genug in ihrem Elternhaus ist, um lieber bei einem Menschen mit einer Vorliebe für kleine Kinder zu bleiben, der sie in ein Kabuff steckt.
Sicher… Ich kann mir vorstellen, dass ein zerrüttetes Elternhaus dazu beigetragen haben könnte, in ihr eine Art Akzeptanz für eine neue Vaterfigur zu schaffen. Oder etwas anderes hat sie veranlasst, sich dem Willen des Entführers zu unterwerfen.
Ich meine… Sie war friggin ZEHN, als er sie schnappte. Da ist man sich seiner Rechte und Möglichkeiten noch nicht so bewusst. Da lässt man sich auch von Lehrern noch Sachen gefallen, die man als Erwachsener nicht akzeptieren würde und so.

Und wenn erst einmal die Gewöhnung eingesetzt hat und man nicht mehr infrage stellt, was einem ‚das Schicksal‘ beschert hat… Wenn man lange genug in der beschissenen Situation steckt…
Ihr Entführer wird ihr sicherlich nicht beigebracht haben, dass es Unrecht ist, was er ihr antut. Davon ist mal auszugehen.

Ich halte jede Verschwörungstheorie für ziemlich an den Haaren herbeigezogen.
Und ich finde es erschreckend, wie aggressiv manche Menschen darauf reagieren, wenn jemand nicht ihrer Vorstellung davon entsprechend handelt, wie ein traumatisiertes Entführungsopfer so drauf sein sollte.
Das ist ein komisches Verhaltensmuster. Nicht seitens Natascha Kampusch, sondern seitens ihrer Kritiker.
Oder wie seht ihr das?

Ich habe das mal fett gemacht. Wer kann sich an Patricia Hearst erinnern?

Natascha Kampbusch war 10.
Der Entführer ihr einziger Kontakt mit der Menschheit.
Ihr Lebensraum minimal.
Ihr einziger kontakt mit der Außenwelt ein Radio (welches nur ein Programm empfangen konnte, wenn ich mich recht erinnere, eins mit viel klassische Musik und 'gehobene' Sprache).
Später durfte sie mit ihrem Entführer 'Ausflüge' machen, es war ihr aber verboten irgendjemand anzusprechen.
Als sie 18 war, sah sie bei einem Ausflug die Chance zu fliehen...
Hatte auch wohl da den Mut dazu.

Nicht sie verhält sich komisch, sondern die, die Natascha Kampbusch vorwerfen sich komisch zu verhalten.



Ach ja, die freiwillige Sex, die sie mit dem Entführer gehabt haben sollte...
Entführer? Freiwillig?
Das ich nicht lache.
 
Genau. Und das ist der Punkt, wo es aus Autorensicht interessant wird. Und auch aus Sicht eines Menschen, der gern hinterfragt.
Ich würde mich gerne mal mit Natascha zusammensetzen und reden. Um sie zu verstehen. Ihre Denkweise nachzuvollziehen. Sie auch ein Stück weit reproduzieren bzw. übertragen zu können.
Ich mache sowas gerne, wenn es von der Person denn erwünscht ist. Und ich habe viele Erkenntnisse aus genau solchen Gesprächen gewonnen.

Ich verstehe dein vorhaben. Ich weiß nur nicht, in wie weit es dich wirklich weiterbringen würde. Und zwar nicht, weil sie dich anlügt, sondern weil du nun das fertige Gesamtwerk ihres bisherigen Lebens erblickst. Das, über was sie redet wird sie wohl schon oberflächlich aus ihrer jetzigen Sicht abgearbeitet und verarbeitet haben. Du darfst nicht vergessen, sie war 10-18 wo die das erlebt hat. Ein unglaublicher Entwicklungsschritt für Menschen, wo man sich normal jedes Jahr fast komplett neu erfindet.

Ich kann nur für mich sprechen, aber ich könnte heute nicht mehr die Gedanken, die ich als 12 oder 14 Jähriger hatte wirklich nachvollziehen oder interpretieren. Ich könnte dir erzählen was ich getan habe, aber sobald es um unangenehme Dinge gehen würde, würde ich sie vermutlich irgendwie ausblenden.
 
Ich habe das mal fett gemacht. Wer kann sich an Patricia Hearst erinnern?
Heiress Patty Hearst and the NLA... Ein Klassiker. Und wohl eines der krassesten Beispiele für Gehirnwäsche und/oder Stockholm-Syndrom. Wahrscheinlich ein wenig von beidem.
Ein wenig schade, dass sie nicht mehr darüber sprechen will. Aber ich verstehs.

Ach ja, die freiwillige Sex, die sie mit dem Entführer gehabt haben sollte...
Entführer? Freiwillig?
Das ich nicht lache.
Ich denke, sie hat sich daran gewöhnt. Ich meine... Vielleicht war sie sich nicht einmal sicher, ob das nun wirklich völlig unnormal ist. Nach acht Jahren und so...?
Der Mensch schafft viel, wenns ums Überleben geht und kann sich an die erstaunlichsten Verhältnisse anpassen.

Das macht es, nebenbei, so interessant. Das in Kombination damit, wie sie sich zumindest nach außen hin präsentiert. Nämlich als durchaus selbstbewusste Frau. Faszinierend halt.
 
Ich kann nur für mich sprechen, aber ich könnte heute nicht mehr die Gedanken, die ich als 12 oder 14 Jähriger hatte wirklich nachvollziehen oder interpretieren. Ich könnte dir erzählen was ich getan habe, aber sobald es um unangenehme Dinge gehen würde, würde ich sie vermutlich irgendwie ausblenden.
Trotzdem lernt man daraus, Krystan.
Wenn ich dir gegenüber sitze und den heutigen Krystan dabei beobachte, wie er über den damaligen Krystan spricht, dann geben sich ganz automatisch Dinge preis.
Ich rede natürlich nicht davon, Charakter und Psyche auf diese Weise zu einhundert Prozent durchschauen zu können. Da geht es mehr um jedes Bit an Informationen, das es erlaubt, selbst ein glaubwürdigeres, runderes Bild von einem Charakter zu erschaffen. Und auch andere Menschen besser zu verstehen.
Oder um es anders zu sagen: Indem ich mal mehrere Jahre lang in die Gedankenwelt eines Vergewaltigungsopfers eingeweiht wurde, konnte ich einem anderen Opfer gegenüber in einer kritischen Situation richtig reagieren, weil ich die Lage richtig einschätzen konnte. Ohne die Vorkenntnisse hätte ich nicht einmal gemerkt, was ich durch eine unbedachte Bewegung beinahe getriggert hätte...
 
Heiress Patty Hearst and the NLA... Ein Klassiker. Und wohl eines der krassesten Beispiele für Gehirnwäsche und/oder Stockholm-Syndrom. Wahrscheinlich ein wenig von beidem.
Ein wenig schade, dass sie nicht mehr darüber sprechen will. Aber ich verstehs.


Ich denke, sie hat sich daran gewöhnt. Ich meine... Vielleicht war sie sich nicht einmal sicher, ob das nun wirklich völlig unnormal ist. Nach acht Jahren und so...?
Der Mensch schafft viel, wenns ums Überleben geht und kann sich an die erstaunlichsten Verhältnisse anpassen.

Das macht es, nebenbei, so interessant. Das in Kombination damit, wie sie sich zumindest nach außen hin präsentiert. Nämlich als durchaus selbstbewusste Frau. Faszinierend halt.

Genau, sie hatte sich wahrscheinlich an den Sex mit ihrem Entführer gewohnt. Dazu kommt: Zuwendung ist Zuwendung. Jeder Mensch braucht Zuwendung. Sie bekam dies nur von ihrem Entführer wenn sie tat was er wollte... Er wollte Sex... Also gab sie ihm Sex. Gaaaanz 'freiwillig'.

Wer weiß (ich begebe mich jetzt wirklich ins Reich der Spekulation), vielleicht hat sie sich so den 'Ausflug' auf den sie fliehen konnte verdient?

Sie hat getan, was sie tun musste um zu überleben. Wieso sollte ihr das nicht tough machen? Die einen kommen stark aus eine Prüfung hervor und andere gehen wörtlich kaputt. Der Spruch: 'Was uns nicht umbringt, macht uns stark' ist nur bedingt gültig.

Nämlich nur für bestimmte Charaktere. Man sieht es nach Katastrophen etc. Die einen lassen sich hinfallen wo sie stehen, erstarren fast oder tatsächlich vor Erschrecken, und andere wachsen über sich hinaus, packen an, organisieren, retten Leben, bauen auf.

Die Vietnam-verteranen? Überlebende aus den K-Zs? Entführungsopfer? Überlebende von 9.11? Was das angeht gehört Natascha Kampbusch vielleicht zu den Glücklichen die mit ihr Schicksal leben können und nicht daran zerbrechen.
 
Die Vietnam-verteranen? Überlebende aus den K-Zs? Entführungsopfer? Überlebende von 9.11? Was das angeht gehört Natascha Kampbusch vielleicht zu den Glücklichen die mit ihr Schicksal leben können und nicht daran zerbrechen.

Das wird die Zukunft zeigen. Die Spätfolgen solcher Ereignisse kann man oft erst nach Jahrzehnten ablesen. Das sind Dinge die wir als aussenstehende aber vermutlich nie erfahren werden.

Denkt daran, wie viele solcher Traumaopfer später dann einen Suizid, Drogensucht, oder sonst irgendein größeres Problen hatten. Die Psyche eines Menschen ist halt kein leichtes, lineares Gebilde. Sie ist oft von erlebten ebenso abhänig, wie von dem aktuellen Umfeld. Vielleicht wäre es am besten wenn sie wegziehen könnte. Irgendwo in ein Land, wo sie niemand kennt, und wo sie neu anfangen kann, und dieses Kapitel einfach tief in einer Schublade verbergen kann. Denn im deutschsprachigen Raum denke ich, wird sie nie ein normales Leben führen können, weil es immer leute gibt die neugierig sind, und ihre Gedanke in die Vergangenheit zurück zerren, anstatt ihr eine Chance auf die Zukunft zu lassen.
 
Ich denke, hier sehen manche wieder mal eine Verschwörung. Kaum zu bestreiten ist aber, dass die Dame vermutlich einen Schaden davongetragen hat (verwunderlich wär's nicht), siehe Interview. Aber mal ehrlich: warum sollte sie sowas erfinden? Dass sie sich mit dem Entführer möglichst arrangiert haben dürfte, ist nicht weiter verwunderlich - sie musste ja überleben.

Weshalb sind wir hier?
Na ja, Sie wollten mich interviewen, und ich hab mir gedacht: Okay, mach ich.

Wieso haben Sie eingewilligt?
Na ja, ich kannte Sie zwar vorher nicht, aber jetzt hätte ich so oder so eingewilligt, weil Sie so ein einnehmendes Wesen vor sich hertragen.

Ich meinte eher: Sie haben Schreckliches erlebt. Wieso sind Sie immer noch in der Öffentlichkeit und geben Interviews?
Ach so! (überlegt) Das ist schwierig! Eigentlich ist es ja so, dass mich die Öffentlichkeit nicht loslässt. Auch im negativen Sinne. Und da will ich etwas entgegenhalten. Natürlich ist es auch wichtig, dann Öffentlichkeit zu haben, wenn es um wichtige Projekte geht. Aber es kann auch sein, dass ich irgendwann beschliesse, völlig privat zu sein. Das lasse ich mir aber noch offen.

Sind solche Auftritte sinnvoll für die Aufarbeitung dessen, was Sie erlebt haben?
Ja, wobei ich das Aufarbeiten mehrheitlich privat mache. Aber ich versuche diesen medialen Rummel ein bisschen über die Medien wieder zu verarbeiten. Es hat mich schon traumatisiert, dass damals direkt nach meiner Flucht bei der Polizeiwache in Gänserndorf schon die Paparazzi standen. Aber ich habe einen Weg gefunden, damit umzugehen. Meine Journalistenphobie habe ich überwunden.

Wie sieht Ihre private Aufarbeitung aus?
Das können Gespräche in der Therapie sein, aber genauso gut auch das Aufbauen eines neuen, lebenswerteren, schöneren Lebens.

Befinden Sie sich in einer klassischen Psychoanalyse?
Nein, das kann ich nicht, da flippe ich aus. Dieses Sichhinlegen, während der andere dasitzt und einem ins Genick flüstert, das ist ein bissel schwierig. Eine normale Gesprächstherapie auf psychoanalytischer Basis ist wohl das Beste für mich.

Womit füllen Sie sonst Ihr Leben?
Ich versuche anderen Menschen privat wie sozusagen beruflich zu helfen. Und ich will die Matura machen und dann studieren. Womöglich Psychologie.

Hatten Sie nach dem Ende Ihrer Gefangenschaft irgendwann mal das Gefühl von Normalität?
Es kommen sehr viele sonderbare Menschen auf einen zu, wenn man so etwas erlebt hat. Damit hatte ich nicht gerechnet. Ich dachte eher, dass ich Menschen begegnen würde, die mir helfen wollen. Man kann sich nicht wirklich in die Normalität zurückziehen.

Wussten Sie eigentlich überhaupt noch, was Normalität ist?
Nein, nicht wirklich. Es gab in der Situation selbst so etwas wie eine Norm, aber die Situation in Freiheit hat mich überfordert. Es gab so viele Menschen, auf die man sich einstellen musste. Ich habe lernen müssen, dass das unmöglich ist. Dass man immer jemanden vor den Kopf stossen muss.

Was bedeutet Normalität für alltägliche Dinge wie Ernährung?
Das war sehr schwierig. Mein Umfeld hat nicht akzeptieren wollen, dass ich nicht gleich von null auf hundert alles Mögliche essen konnte. Ich war da selber auch nicht konsequent genug: Es hat mir Spass gemacht, mehrere Portionen von etwas zu essen. Ich kann mich erinnern, dass ich am Anfang manchmal Unmengen Schokolade und Eis oder drei Döner in mich reingestopft habe.

Wie gehen Sie jetzt damit um?
Mittlerweile bin ich Vegetarierin und achte genauer auf meine Ernährung. Vielleicht hätte ich den Speiseplan aus der Gefangenschaft mit einem Apfel und einem alten Stück Brot pro Tag länger beibehalten und dann langsam ausbauen sollen.

Sie hatten während acht Jahren nur eine Bezugsperson. Wer sind heute Ihre nächsten Bezugspersonen?
Viele Menschen kommen einfach auch nicht mit meinem Schicksal klar. Deswegen hab ich jetzt keine engen Bezugspersonen. Vielleicht ein paar Freunde, aber so eng ist die Beziehung zu ihnen auch wieder nicht. Letztendlich ist meine Conclusio aus dem Ganzen: Man bleibt auf sich alleine gestellt.

Ihnen schlägt viel negative Kritik entgegen. Besonders Frauen reagieren oft heftig.
Ich denke, Frauen werden generell in unseren Gesellschaften so erzogen, dass sie sich mehr passiv verhalten und mehr auch bereitwillig in die Opferrolle gehen sollen. Deshalb werden mich Frauen eher anfeinden, weil sie ja grundsätzlich finden, dass das normal ist und dass das bei mir vielleicht ein bisschen schlimmer war, aber dass sie sich ja auch irrsinnig viel verbieten oder vergeben müssen, damit sie ihrer Frauenrolle gerecht werden.

Sie hatten im Fernsehen eine Talkshow mit dem Titel «Natascha Kampusch trifft ...». Wieso?
Ich fand das ganz spannend. Aber ich hab das nicht ertragen, weil ich so einen Stöpsel im Ohr hatte, über den mir die Regie Anweisungen geben konnte. Das war irritierend.

Was war Ihr Konzept?
Ich wollte die Menschen mal von einem ganz anderen Blickwinkel zeigen. Ich habe mich zum Beispiel getraut, Niki Lauda zu fragen, ob es nicht extrem egoistisch war, sich in einen Rennwagen zu setzen, wenn man zu Hause Frau und Kinder hat.

War es nicht naiv, nicht zu sehen, dass Ihnen dabei Ihr Schicksal in die Quere kommt und alles überlagert?
Ja, das war vielleicht ein bisschen naiv. Ich wollte einfach immer schon was mit den Medien machen, schon als Kind. Man hat mir auch immer wieder gesagt, ich solle doch Schauspielerin werden. Ich wollte dem dann auch entsprechen und hatte mir das als grosses Ziel gesetzt. Ich habe immer Radio- und Fernsehsendungen nachgespielt, die Nachrichten zum Beispiel oder die Tiersendung «Wer will mich?», in der ein neues Zuhause für Haustiere gesucht wurde.

Am Donnerstag läuft «3096 Tage» an, die Verfilmung Ihrer Geschichte. Muss man sich den Film Ihrer Meinung nach ansehen?
(wartet lange) Natürlich!

Wieso?
Die Menschen, die die Geschichte schon verfolgt haben, werden sich diesen Film anschauen, weil sie ein Interesse an meinem Schicksal haben. Weil es ihnen nahegeht. Und dieser Film ist sicher keiner, bei dem man am Plakat vorbeischlendert und denkt: «Hm, sieht gut aus, da könnten wir doch mal reingehen und uns einen schönen Abend machen.»

Der Film ist in gewissen Punkten wesentlich expliziter als das Buch. Haben Sie nicht Angst, damit ganz hässliche Altherren-Fantasien zu bedienen?
Die Fantasien existieren – ob ich es will oder nicht. Ich denke, das hat auch die Medienwelt dazu veranlasst, nach meiner Selbstbefreiung alle möglichen Spekulationen und Verschwörungstheorien aufzustellen.

Wie eng haben Sie am Film mitgearbeitet?
Ich habe mit Bernd Eichinger einige Gespräche geführt. Wir wollten dann noch ein weiteres Treffen vereinbaren, aber dazu kam es leider nicht mehr. Ich habe dann auch mit Constantin-Film und Regisseurin Sherry Hormann weiter über das Projekt kommuniziert. Das war eine recht konstruktive Zusammenarbeit, wenn man die Tatsache berücksichtigt, dass Bernd Eichinger tot war und das Drehbuch weiterentwickelt werden musste. Es ist nun zwar nicht der Film geworden, zu dem ich eingewilligt habe, aber ich finde ihn gut.

Was empfinden Sie, wenn Sie sich den Film anschauen?
Ich bin natürlich nicht so bewegt wie die Zuschauer, die nichts damit zu tun haben. Es ist ja meine Geschichte. Aber natürlich kommen da auch wieder Erinnerungen hoch und Dinge, die ich schon längst verdrängt und weggeschoben hatte. Aber das ist eben das Risiko.

Nach 3096 Tagen ist Ihnen die Flucht gelungen. Die Tage in Gefangenschaft beschäftigen Sie heute noch immer stark. Ist Freiheit eine Illusion?
Ja, wahrscheinlich. Freiheit ist auf jeden Fall ein Stück weit eine Illusion. Man ist in so vielen Dingen unfrei, kann vieles nicht beeinflussen. Deshalb bin ich auch auf eine gewisse Art und Weise stolz auf mich, weil ich mir die Freiheit zu gewissen Dingen nehme. Diese ganzen Kritiker sind auch frei, ihr Leben so zu leben, wie sie wollen. Ich tue ihnen ja nichts.

Gibt es manchmal für Sie heute Momente, in denen Sie das Gefühl haben, frei zu sein?
Ja, manchmal. Freiheit ist für mich, wenn ich mal nicht an irgendetwas denken muss. (Tages-Anzeiger)

Erstellt: 27.02.2013, 08:04 Uhr
 
Das Kind/diese junge Frau hat einfach versucht zu überleben.
Und dazu wählt die menschliche Psyche auch den Weg einer Identifikation/Empathie mit dem Peiniger.
Das Ganze ist schon lange als "Stockholm-Syndrom" bekannt.
Da Natascha sich selbst ein wenig gegen das Stockholm-Syndrom sträubt, kann man durchaus andere Erklärungsansätze vorschlagen.
Außerdem finde ich es spannend, die möglichen Facetten des Themas ruhig mal zu beleuchten.
Nicht um den Fall Kampusch endgültig zu lösen, sondern um sich gedanklich mit dem Thema zu beschäftigen. Und zwar wertneutral. Also ohne eine Wertung ihres Verhaltens im Sinne von gut oder schlecht, richtig oder falsch vorzunehmen. Weil das gar nicht der Punkt ist.

NK als literarisches Sujet? Als Anreiz für eine Story? Mit dem Gedanken spielt hier offenbar jemand...
Hm...was soll dabei herauskommen ausser Dingen, die man längst weiß?
Ein Opfer identifiziert sich zur Not -um zu überleben- mit dem Entführer.
Das ist im Prinzip auch schon alles.
Das ist der Kern des Falles NK.
Der Anreiz liegt darin, dass der Fall noch immer starke Emotionen bei völlig Unbeteiligten hervorruft. Siehe die Verschwörungstheorien um den Fall. Und sich in so einem Themenbereich zu bewegen, ist für mich durchaus reizvoll. Es sind bereits starke Reaktionen vorhanden und die versprechen wiederum starke Reaktionen auf eine Story.
 
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