PoppingTom
TEH BRAIN
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Also nicht dass du mich falsch verstehst, Auden, ich finde deinen Beitrag sehr interessant und diskutierenswert. Und da er letzteres ganz besonders ist, tu ich das auch, also nicht böse oder beleidigt sein, wenn ich da ein bisschen drin rumfurche, ist nicht böse gemeint 
Wer immer das jetzt auch angeblich gesagt hat oder haben soll: das Wort "falsch" hat in der objektiven Betrachtung von Literatur nichts verloren. Es gibt in der Kunst kein objektives "richtig" oder "falsch", derartige Ansichten sind IMMER subjektiv. Wenn ein Tolkien sagt, dass Shakespeare "neumodischer Scheiss" sei, dann ist diese Aussage nicht richtig oder falsch. Es ist seine Aussage, die seinen Stil untermauert. Und letztendlich geht es IMMER um Stil.
So, und jetzt streichen wir mal bitte bei 1. das Wort "Schreiberfahrung", weil dieser Begriff für grundsätzlich niemanden greifbar ist und letztendlich nur zur Beleidigung dienen kann. Erfahrung ist zwar hilfreich, aber nicht messbar, und einem Neuling nutzt dieser Begriff rein gar nichts. Am Anfang steht immer der Anspruch, den man sich selbst setzt, wozu auch die Frage gehört, inwieweit man sich diesen Anspruch von aussen aufzwingen lässt. Es gibt zwar die Tendenz zu sagen, der Anspruch müsse sich an der Erfahrung ausrichten. Das ist aber nur ein Weg, den man gehen kann, und meiner Ansicht nach nicht der beste. Zumindest nicht für mich, da ich ihn demotivierend finde. Für einen selber fassbare Erfahrung kann m.E. nur durch den qualitativen Anspruch entstehen, selbigen recht hoch zu setzen und sich selbst damit auch in die Verbesserung zu treiben. Ohne diesen Anspruch macht man 50 mal das gleiche und hält sich damit für supererfahren, obwohl man gar nicht alles ausprobiert hat.
Natürlich wirst du jetzt behaupten, das Ziel sei der Anspruch. Ich widerspreche dem deshalb, weil in der Kunst generell sehr oft auch recht anspruchsvolle Werke ohne jedes Ziel entstehen und eine gehörige Portion Ziellosigkeit oftmals den Fluss oder das Feeling eines Werkes positiv beeinflusst. Im Gegenzug wirken sich zu viele Zielvorgaben negativ darauf aus. Dabei spielt es keine Rolle, ob mit dem Ziel der Anspruch, der Stil, die Geschichte an sich oder die Botschaft der Geschichte gemeint ist. Gute Schriftsteller können sich Zielvorgaben setzen, weil sie halbwegs wissen, wie man zu selbst gesetzten Zielen hinfliesst. Es gibt aber auch genügend Künstler, denen der Fluss wichtiger ist als das Ziel. Gerade solche Schriftsteller wie Henry Miller oder Charles Bukowski hätten es wahrscheinlich mit konkreten Zielvorgaben nie zu einem Buch geschafft.
Bliebe die Frage, wer bestimmt, was akzeptabel ist und was nicht, und warum. Man kann diese Frage kaum beantworten, wenn man den Anspruch von X nicht kennt, welcher im Übrigen die Frage der Zielgruppe wie auch die Frage, wie weit man diese bedienen möchte, mit einschliesst.
Eine derartige Vorgehensweise ist allerdings ausgesprochen reaktiv, und reaktive Schreiber gehören wahrlich zu der langweiligsten Sorte. Die wirklich kreativen Kräfte probieren sich auch so aus, stellen auch einfach mal so gewisse Dinge um, probierten Neues aus. Die besten Ergebnisse entstehen bei guten Leuten oftmals genau dann, wenn sie mit dem für sie Unbekannten arbeiten.
Es gibt diese Methode in ähnlicher Form bei der Musik, dort heisst sie "Dieter-Bohlen-Methode": schreibe 60-80 Songs, einer davon wird garantiert ein Hit. Die Methode ist nicht zwangsweise falsch. Sie suggeriert nur lediglich, dass mit der puren Masse automatisch die Qualität kommt, und dieser Ansatz ist sehr wohl falsch, denn ohne den dazugehörigen Anspruch, sich zu verbessern, tut sich da rein gar nichts. Der selbst gesetzte Anspruch ist m. E. das Allerwichtigste bei jeder Form von Kunst, und der Weg zur Erfüllung dieses Anspruchs hat ganz konkrete Auswirkungen auf den eigenen Stil.
Deine genannten Beispiele haben einen Haken: was ist P, wem gehört es, wer hat da welchen Anspruch, wer hört auf wen ?
Beispiel 1:
P ist, wie im ersten Beispiel von dir, eine Telenovela. Gehört den Produzenten. Der will am liebsten alles selbst machen, kann er aber vom Aufwand her nicht, also musst du es machen.
Vorgehensweise (VW): Du bist nichts, der Produzent ist alles, hundertmal fragen, ob man es so machen kann, damit abfinden, dass, wenn hier überhaupt grosse Kunst entsteht, sie in seinem Namen entsteht, damit abfinden, dass der Produzent nie zufrieden ist. Geld zählen, wenn alles vorbei ist und fragen, ob sich das alles wirklich lohnt.
Beispiel 2:
P: Film mit gewissen Anspruch. Gehört den Produzenten, der hat aber keine Ahnung, weiss das auch und glaubt dir aufs Wort. Er will DEINEN Film machen.
VW: Mach deinen Film, ohne Kompromisse. Du kannst nur gewinnen. Risiko trägt er. Du kannst dich als kompromissloser Künstler verkaufen, was u.U. mächtig deinen Wert steigert. Nich heulen, wenns trotzdem schief geht. Auch Dinge, die schiefgehen, müssen gemacht werden.
Beispiel 3:
P: Film mit SEHR hohen Anspruch. Gehört mysteriösen Geldgeber, der guten Produzenten aber blind vertraut. Der gute Produzent umgibt sich nur mit guten Leuten - und du bist offensichtlich einer davon - und verlangt von denen auch, sich ganz einzubringen.
VW: Sei dir darüber im Klaren, dass du danach ein Wrack bist. Das ist der letzte Film, den du wahrscheinlich drehen wirst. Mach dich auf Streitereien, perfektionistische Rumhackereien, Schimpfkanonaden der schlimmsten Sorte, Nachtschichten ohne Ende und jede Menge am Ende scheinbar überflüssiger Arbeit gefasst. Aber es lohnt sich. Du merkst es spätestens, wenn du das Ergebnis siehst.
Ansonsten sind aber deine Ausführungen vollkommen richtig und sinnvoll.
Der Begriff "erfolgreich" ist ebenfalls ein sehr subjektiv besetzter Begriff. Letztendlich hängt dieser auch vom eigenen Anspruch ab. Goethe war nicht der meistgelesenste Schriftsteller seiner Zeit. War er deswegen nicht (oder weniger) erfolgreich?
«Ich schreib‘ Geschichten, klar. Aber mach ich's auch richtig (oder zumindest nicht allzu falsch)?».
Wer immer das jetzt auch angeblich gesagt hat oder haben soll: das Wort "falsch" hat in der objektiven Betrachtung von Literatur nichts verloren. Es gibt in der Kunst kein objektives "richtig" oder "falsch", derartige Ansichten sind IMMER subjektiv. Wenn ein Tolkien sagt, dass Shakespeare "neumodischer Scheiss" sei, dann ist diese Aussage nicht richtig oder falsch. Es ist seine Aussage, die seinen Stil untermauert. Und letztendlich geht es IMMER um Stil.
A. Die (richtige/nicht allzu falsche) Vorgehensweise wird durch zwei Einflussgrößen bestimmt:
--- 1. Die persönliche Schreiberfahrung des Autors X.
--- 2. Das Ziel, das Autor X in das Schreibprojektes P legt.
So, und jetzt streichen wir mal bitte bei 1. das Wort "Schreiberfahrung", weil dieser Begriff für grundsätzlich niemanden greifbar ist und letztendlich nur zur Beleidigung dienen kann. Erfahrung ist zwar hilfreich, aber nicht messbar, und einem Neuling nutzt dieser Begriff rein gar nichts. Am Anfang steht immer der Anspruch, den man sich selbst setzt, wozu auch die Frage gehört, inwieweit man sich diesen Anspruch von aussen aufzwingen lässt. Es gibt zwar die Tendenz zu sagen, der Anspruch müsse sich an der Erfahrung ausrichten. Das ist aber nur ein Weg, den man gehen kann, und meiner Ansicht nach nicht der beste. Zumindest nicht für mich, da ich ihn demotivierend finde. Für einen selber fassbare Erfahrung kann m.E. nur durch den qualitativen Anspruch entstehen, selbigen recht hoch zu setzen und sich selbst damit auch in die Verbesserung zu treiben. Ohne diesen Anspruch macht man 50 mal das gleiche und hält sich damit für supererfahren, obwohl man gar nicht alles ausprobiert hat.
Natürlich wirst du jetzt behaupten, das Ziel sei der Anspruch. Ich widerspreche dem deshalb, weil in der Kunst generell sehr oft auch recht anspruchsvolle Werke ohne jedes Ziel entstehen und eine gehörige Portion Ziellosigkeit oftmals den Fluss oder das Feeling eines Werkes positiv beeinflusst. Im Gegenzug wirken sich zu viele Zielvorgaben negativ darauf aus. Dabei spielt es keine Rolle, ob mit dem Ziel der Anspruch, der Stil, die Geschichte an sich oder die Botschaft der Geschichte gemeint ist. Gute Schriftsteller können sich Zielvorgaben setzen, weil sie halbwegs wissen, wie man zu selbst gesetzten Zielen hinfliesst. Es gibt aber auch genügend Künstler, denen der Fluss wichtiger ist als das Ziel. Gerade solche Schriftsteller wie Henry Miller oder Charles Bukowski hätten es wahrscheinlich mit konkreten Zielvorgaben nie zu einem Buch geschafft.
zu A.1.
a) Unter der Annahme, dass X ein halbwegs erfahrener Schreiberling* ist, gilt: X hat akzeptable und inakzeptable Schreibergebnisse verwirklicht.
Bliebe die Frage, wer bestimmt, was akzeptabel ist und was nicht, und warum. Man kann diese Frage kaum beantworten, wenn man den Anspruch von X nicht kennt, welcher im Übrigen die Frage der Zielgruppe wie auch die Frage, wie weit man diese bedienen möchte, mit einschliesst.
b) Diese methodische Ausrichtung ist nicht in Stein gemeißelt: Wenn sie in der Erfahrung sich nicht länger bewährt, d.h. nicht mehr zu akzeptablen Ergebnissen führt, dann wird X, sofern X noch immer akzeptable Ergebnisse bevorzugt (oder aktiv anstrebt), seine Vorgehensweise umstellen.
Eine derartige Vorgehensweise ist allerdings ausgesprochen reaktiv, und reaktive Schreiber gehören wahrlich zu der langweiligsten Sorte. Die wirklich kreativen Kräfte probieren sich auch so aus, stellen auch einfach mal so gewisse Dinge um, probierten Neues aus. Die besten Ergebnisse entstehen bei guten Leuten oftmals genau dann, wenn sie mit dem für sie Unbekannten arbeiten.
*Nach D.F.W. kämen 50 zu Ende geschriebene Sachen der zu erfüllenden hinreichenden Bedingung eines halbwegs erfahrenen Schreiberlings gleich. Denn bis zu diesem Punkt sei ein jeder mit Sicherheit noch ein Lernender. (Quelle: Salon Features)[]
Es gibt diese Methode in ähnlicher Form bei der Musik, dort heisst sie "Dieter-Bohlen-Methode": schreibe 60-80 Songs, einer davon wird garantiert ein Hit. Die Methode ist nicht zwangsweise falsch. Sie suggeriert nur lediglich, dass mit der puren Masse automatisch die Qualität kommt, und dieser Ansatz ist sehr wohl falsch, denn ohne den dazugehörigen Anspruch, sich zu verbessern, tut sich da rein gar nichts. Der selbst gesetzte Anspruch ist m. E. das Allerwichtigste bei jeder Form von Kunst, und der Weg zur Erfüllung dieses Anspruchs hat ganz konkrete Auswirkungen auf den eigenen Stil.
a) Unter der Voraussetzung, dass X in P ein Ziel T verfolgt, gilt: Je nach Form von T(P) ist möglicherweise eine andere Vorgehensweise die richtige/nicht allzu falsche.
Deine genannten Beispiele haben einen Haken: was ist P, wem gehört es, wer hat da welchen Anspruch, wer hört auf wen ?
Beispiel 1:
P ist, wie im ersten Beispiel von dir, eine Telenovela. Gehört den Produzenten. Der will am liebsten alles selbst machen, kann er aber vom Aufwand her nicht, also musst du es machen.
Vorgehensweise (VW): Du bist nichts, der Produzent ist alles, hundertmal fragen, ob man es so machen kann, damit abfinden, dass, wenn hier überhaupt grosse Kunst entsteht, sie in seinem Namen entsteht, damit abfinden, dass der Produzent nie zufrieden ist. Geld zählen, wenn alles vorbei ist und fragen, ob sich das alles wirklich lohnt.
Beispiel 2:
P: Film mit gewissen Anspruch. Gehört den Produzenten, der hat aber keine Ahnung, weiss das auch und glaubt dir aufs Wort. Er will DEINEN Film machen.
VW: Mach deinen Film, ohne Kompromisse. Du kannst nur gewinnen. Risiko trägt er. Du kannst dich als kompromissloser Künstler verkaufen, was u.U. mächtig deinen Wert steigert. Nich heulen, wenns trotzdem schief geht. Auch Dinge, die schiefgehen, müssen gemacht werden.
Beispiel 3:
P: Film mit SEHR hohen Anspruch. Gehört mysteriösen Geldgeber, der guten Produzenten aber blind vertraut. Der gute Produzent umgibt sich nur mit guten Leuten - und du bist offensichtlich einer davon - und verlangt von denen auch, sich ganz einzubringen.
VW: Sei dir darüber im Klaren, dass du danach ein Wrack bist. Das ist der letzte Film, den du wahrscheinlich drehen wirst. Mach dich auf Streitereien, perfektionistische Rumhackereien, Schimpfkanonaden der schlimmsten Sorte, Nachtschichten ohne Ende und jede Menge am Ende scheinbar überflüssiger Arbeit gefasst. Aber es lohnt sich. Du merkst es spätestens, wenn du das Ergebnis siehst.
Ansonsten sind aber deine Ausführungen vollkommen richtig und sinnvoll.
Mir ist darüber hinaus jedoch nicht klar, ob die (richtige/nicht allzu falsche) Vorgehensweise zumindest notwendige Bedingung für ein erfolgreiches Schreiben ist:
....
Richtig ist aber: Die (allzu) falsche Vorgehensweise erschwert immerhin eine gute Geschichte zu schreiben oder entrückt sie in talentbefreiten Händen sogar ins Unerreichbare.
Der Begriff "erfolgreich" ist ebenfalls ein sehr subjektiv besetzter Begriff. Letztendlich hängt dieser auch vom eigenen Anspruch ab. Goethe war nicht der meistgelesenste Schriftsteller seiner Zeit. War er deswegen nicht (oder weniger) erfolgreich?