Kapitel-Kritik: Die Zuschauerin

millamomud

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Jan 16, 2018
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Hallo zusammen,

da im Moment keine neuen Geschichten online gehen, dachte ich, ich bringe ein bisschen Stoff zur Diskussion mit. 😉

Ich arbeite gerade an einer literarischeren Kurzgeschichte (ca. 8.000 Wörter, geplant als One-Shot), die sich um eine emotional entfremdete Ehe dreht.
Im Mittelpunkt steht Katharina, Ende 20, Juristin, zurückhaltend.
Nach einem Streit schlägt sie ihrem Mann Henning vor, mit einer anderen Frau zu schlafen – nicht aus Lust, sondern aus einem Gefühl von emotionaler Entfremdung, vielleicht auch aus Schuld. Es ist kein klassischer Cuckold, kein heißes Szenario. Eher eine stille Verzweiflungstat. Und der Beginn von etwas Ungewolltem.

Ich befinde mich gerade an einem "Kipppunkt", und überlege ob sich das Weiterschreiben überhaupt lohnt. Ich gestehe auch, dass mir längere Dialoge vielleicht etwas schwerer fallen, aber das liegt vielleicht auch etwas am Material.

Fragen, zu denen ich gerne Feedback hätte:
  • Wirkt der Streit im ersten Kapitel realistisch?
  • Kommt Katharinas Vorschlag glaubwürdig rüber – oder ist er zu konstruiert?
  • Wie wirkt ihre Erzählstimme auf euch – zu distanziert, zu verkopft, oder tragfähig?
  • Funktioniert der Dialogverlauf, gerade gegen Ende?


Und was die Einordnung betrifft…
In welche Kategorie würdet ihr so etwas stecken?
Ich schwanke selbst:
  • Loving Wives, wegen der Beziehungskomponente?
  • Exhibitionist & Voyeur, da Katharina dem Sex später aktiv zusieht?
  • Oder sogar BDSM, wenn sich das Ganze in eine Art Kontroll- oder Selbstverleugnungsfantasie wandelt?

Ich habe nicht angefangen zu schreiben, um in eine Kategorie zu passen – eher im Gegenteil. Aber für Literotica muss man sich ja irgendwann entscheiden.

Ich würde mich sehr über euer Feedback freuen – gerne direkt am Text, gerne analytisch, gerne emotional.

Hier der Text des ersten Kapitels:

(Arbeits)-Titel: Die Zuschauerin
(Kapitel 1: Der Vorschlag)
1.225 Wörter

Es war Samstagabend.

Henning hatte den ganzen Tag im Arbeitszimmer verbracht, mit seinem japanischen Füller, den ich ihm zum Geburtstag geschenkt hatte, und einen Stapel Klausuren korrigiert, der wie ein Bollwerk zwischen uns lag. Ich hörte ihn im Vorbeigehen manchmal murmeln, wenn er sich über eine Formulierung aufregte, dann das Kratzen der goldenen Feder mit der roten Tinte über das Papier.

Ich kochte.

Adobo Chicken, das gute Rezept mit dem leisen Essigduft und den dunklen Aromen, die erst nach Stunden wirklich durchdringen – und dann die ganze Wohnung mit ihrem süßen Duft füllen. Ich hatte das Fleisch am Morgen schon mariniert, ließ es ziehen, briet es scharf an, löschte ab, ließ es leise simmern. Dazu gab es die Fächerkartoffeln, die er so mochte, und gebratenen Baby-Pak Choi.

Ein Essen, das Geduld verlangt.

Dann deckte ich den Tisch im Wohnzimmer: Weiße Tischdecke, das gute Geschirr. Eine einzelne Kerze mit langem rotem Stiel. Kein Weinglas – er trank nur selten – aber zwei Gläser für das Wasser und eine Karaffe, mit zwei Scheiben Limette und ein paar Blättern frischer Minze. Vielleicht würde ich ihn ja später noch zu einem Mojito überreden können. Musik lief leise im Hintergrund. Eine Playlist mit alten Coldplay-Alben, die ich vorhin noch schnell zusammengestellt hatte. Genug Melodie, um den Raum zu füllen, ohne ihn zu stören. Kurz bevor das Hühnchen fertig war, zog ich mir ein Kleid an, das ich selten trug. Dunkelblau mit kleinem weißen Kragen. Nicht aufreizend, aber schön. Für ihn.

Dazu die passenden Perlenohrringe – einfache blaue Stecker, die genau zum Kleid passten.


Als alles fertig war, rief ich leise nach ihm.

Henning kam mit den Schultern eines Mannes, der zu lange gesessen hatte. Er trug eines seiner Karohemden und eine schlichte Jeans. Ich habe nie verstanden, warum er nicht einfach etwas Gemütlicheres anzog, wenn er Klausuren korrigierte. Aber er sagte immer, er müsse sich für den Anlass kleiden – auch beim Korrigieren. Sonst nehme er es nicht ernst genug.

Ich hätte ihn selbst im Schlabberlook nicht zum Umziehen genötigt.

Ich war froh, ihn so zu haben, wie er war.

Er schnupperte.

„Riecht gut“, sagte er. Dann lächelte er.
„Du hast mir das Korrigieren zum Ende echt schwer gemacht“
Es war ein indirektes Kompliment, so wie er sie am liebsten machte.
Kein „Wow, das sieht gut aus“, sondern eher ein „Ich kann’s kaum erwarten, das zu probieren.“ Die meisten hätten es gar nicht bemerkt.
Mir bedeutete es mehr als jeder Blumenstrauß.

Ich füllte unsere Teller, reichte ihm die Schüssel. Er nahm, lobte den Geschmack, sagte aber nichts weiter. Ich beobachtete, wie er kaute, wie seine Finger die Gabel hielten, wie er durch die Hähnchenkeulen schnitt. Ich dachte kurz darüber nach, wie viele Samstage wir so schon verbracht hatten. Früher, in der ersten Wohnung, hatten wir fast immer am Tisch die Hände gehalten, kurz nach dem Essen, bevor wir aufgestanden sind. Nur ein Moment. Jetzt lagen unsere Hände regungslos neben dem Besteck, getrennt durch die weiße Tischdecke, als könnten sie sich verbrennen, wenn sie sich berührten. Nur, dass dieser Samstag einer war, an dem ich mich bemüht hatte.

Nach dem Essen stand er auf, beugte sich kurz zu mir rüber und küsste mich flüchtig auf den Mund. Dann räumte er ab. Ich half ihm. Teller in die Spülmaschine, das Holzbrett von Hand, die gusseiserne Pfanne getrennt, mit warmem Wasser und der Bambusbürste.

Er trocknete ab.

Als ich die Pfanne gerade einölte, trat er hinter mich. Legte die Arme um meine Taille, zog mich sanft an sich. Ich spürte seinen Körper.
Seinen Atem an meinem Nacken und seine Hände, zögernd, aber zielstrebig, an meinen Hüften. Und seine Erektion, die von hinten an meinen Rücken drückte.

Ich blieb stehen.
Bewegte mich nicht.

Ich wusste, was er wollte.
Ich wusste auch, dass ich es ihm nicht geben konnte.
Nicht heute.
Nicht so.

Und das wusste er wahrscheinlich auch.

Ich befreite mich aus seinen Armen und entzog ihm die Nähe, die er suchte.

„Ich kann das nicht mehr.“
Seine Stimme war leise, aber fest.
„Wir sind wie Mitbewohner. Ich liebe dich. Aber ich halte das nicht mehr aus.“
„Henning, das ist nicht fair.“
„Was soll ich denn sagen, Katharina? Du bist nie bereit. Nie.“

Er machte eine Pause. Ich suchte nach den richtigen Worten.

„Ich bin kein Mönch, weißt du? Ich will nicht im Zölibat leben. Ich habe Bedürfnisse.“
„Ich hab auch Bedürfnisse. Nur… andere gerade.“
„Willst du überhaupt noch mit mir zusammen sein? Oder ist das alles nur bequemer für dich?“

Er fuhr sich durch die Haare, atmete durch.

„Ich will nicht nur dein Freund sein. Ich will dein Partner sein.“
„Du bist mein Partner. Du warst es immer.“
„Früher hatten wir Sex. Guten Sex. Öfter als einmal im Jahr! Und jetzt?“

Ich konnte mich nicht erinnern, wann wir das letzte Mal wirklich miteinander geschlafen hatten. Irgendwann letztes Jahr. Er war damals hinter mich gerutscht, im Halbschlaf, oder nur halb wach, und ich hatte nicht Nein gesagt. Ich hatte auch nicht Ja gesagt. Ich hatte es einfach geschehen lassen – aus Schuld, aus Liebe, aus Schwäche. Danach hatten wir geschwiegen. Über alles. Jetzt blickte er weg, an mir vorbei. Als könne er mich nicht ansehen für das, was er jetzt sagen wollte.

„Manchmal frage ich mich, ob ich nicht gut genug für dich bin.“ Er klang fast trotzig.
„Das hat nichts mit dir zu tun.“
„Natürlich hat es das. Ich bin dein Mann. Und ich hab das Gefühl, ich darf dir nicht mehr zu nahe kommen.“

Sein Blick wanderte wieder zurück. Jetzt sah er mich direkt an.

„Wie lange soll ich noch warten, Katharina? Ist da jemand anderes? In der Kanzlei? Arbeitest du deswegen immer so lange?“
„Nein!“
„Wenn ich nicht fordern würde, gäbe es gar keine Nähe mehr zwischen uns. Ich bin es leid, immer derjenige zu sein, der versucht, unsere Ehe am Leben zu halten“, er senkte die Stimme. „Ich weiß nicht, wieviel Zurückweisung ich noch ertrage.“
„Ich tu das doch nicht mit Absicht…“
„Vielleicht sind wir einfach nicht mehr kompatibel.“ Seine Stimme war ruhig. Zu ruhig. Etwas hatte sich verändert. „Vielleicht brauchen wir eine Pause. Vielleicht musst du dir klar werden, was du willst. Was du wirklich willst.“
„Nein“, sagte ich. „Ich weigere mich, das zu akzeptieren. Das ist der Anfang vom Ende. Ich will nicht, dass du einfach gehst.“ Ich suchte seine Augen. Verzweiflung machte sich in mir breit. Tief in mir. Ich wollte ihn nicht verlieren. Aber ich konnte ihm nicht die Wahrheit sagen. Dass Sex mir nichts gab. Dass es sich für mich jedes Mal nach Gewalt anfühlte. Ich griff nach einem Strohhalm. Suchte seine Augen.
„Was wäre… Wenn wir einen anderen Weg finden? Einen echten. Offenen.“
Er zögerte. „Was meinst du mit… offen?“
Ich schluckte. „Was wäre, wenn du es dir… woanders holen könntest? Ich will, dass du ehrlich bist. Wenn du das brauchst… Nähe, Sex… dann aber bitte nicht hinter meinem Rücken. Aber auch nicht willkürlich.“

Ich holte Luft.

„Wir finden einen Weg. Offen. Nicht als Affäre, sondern als Vereinbarung.“

Ich sagte es ruhig.
Fast überzeugend.
Und vielleicht glaubte ich es in diesem Moment sogar selbst – obwohl ich wusste, dass ich längst verloren hatte.

Er sah mich an. Suchte nach Worten.

„Ich weiß nicht… das fühlt sich irgendwie falsch an.“

Dann schwieg er wieder. Sah an mir vorbei. Als würde er hoffen, dass irgendjemand widerspricht. Ich hatte gerade unserem Ehebruch zugestimmt.

Und niemand hatte auch nur die Stimme erhoben.

Auch du nicht.
 
ganz frei von der Leber weg.
Die Probleme im Bett scheinen etwas zu sein was schon sehr lange an beiden nagt und ein echtes Problem sind. Wenn es um das rein körperliche geht, sehr viel mehr für ihn als für sie.

Nun haben wir diesen Abend. Sie kocht mit viel Aufwand, macht sich hübsch für sich und ihn. Ich denke sogar dass sie es mehr für sich selbst tut als für ihn, weil sie es einfach mag. Sie hat Stil und Anmut. Nun kommt es wie es kommen muss. Er startet den nächsten verzweifelten Versuch, sich anzunähern. Die kann es nicht, wehrt ab, so wie sie es seit langer Zeit tut.

Ich kann mir vorstellen dass es diese Situation schon sehr oft zwischen den beiden gegeben hat, und sicher immer im ähnlichen Schema gelaufen ist. Alles lässt zumindest darauf schließen, wenn man seine Verzweiflung sieht. Das heißt für mich um Umkehrschluss, dass diese Frage nach der Affäre in der Kanzlei zum Beispiel eine ist, die ich zu diesem Zeitpunkt nicht erwarten würde. Das Thema war sicherlich bei der ersten oder zweiten Krise zwischen den beiden ein Thema und sie konnte ihn beruhigen. Das selbe gilt für die Infragestellung der Beziehung generell "Manchmal frage ich mich, ob ich nicht gut genug für dich bin.". Also hat er noch immer Vertrauen in sie, denn ansonsten wären sie schon lange kein Paar mehr. Er weiß also dass die Probleme tiefer liegen, was allerdings keinen Einfluss auf seine Verzweiflung haben dürfte. Die ist real. Dass sie dann wie im Affekt mit dem Vorschlag der dritten Person herausrückt, fühlt sich nicht richtig an.

Was ich denke wie es glaubwürdiger wäre. Ich denke du brauchst eine Vorgeschichte oder eine andere Technik um das Setting zu etablieren. Vor allem die Zeitkomponente spielt eine Rolle - Es läuft schon lange nicht mehr so wie es sollte.. Das ist zwar weniger elegant, aber die Situation, wie sie sich jetzt darstellt, wird realistischer, wenn man die Vorgeschichte kennt. Sie könnte dann auch souveräner agieren. Sie ist eine intelligente Frau und sie weiss natürlich worauf der Abend hinauslaufen wird, wenn sie sich hübsch macht, gut kocht, und Coldplay (Ich hasse Coldplay, aber es ist deine Geschichte :- )) auflegt. Sie hat sich die Gedanken zur dritten Person ja schon gemacht und könnte den Abend nutzen und agieren statt im Affekt die Idee zu droppen. Er nähert sich an, aber sie nimmt ihm früher den Wind aus den Segeln, bevor es zum hundertsten mal eskaliert oder seine Frustration sich weiter steigert und unterbreitet die Idee. Sie hat lange darüber nachgedacht, ist nun aber entschlossen.

Was denkst du?

LG Moni
 
Liebe Moni,

vielen Dank für deinen ausführlichen und ehrlichen Kommentar, genau solche Rückmeldungen helfen mir, meine Figuren und die Dramaturgie mit etwas Abstand noch einmal neu zu betrachten.

Du sprichst einen wichtigen Punkt an: die Tiefe und Glaubwürdigkeit der Vorgeschichte, insbesondere, was die emotionale Erosion der Beziehung betrifft. Ich bin ganz bei dir: Die Szene lebt (und fällt) mit der Annahme, dass das Problem nicht frisch, sondern tief verwurzelt ist. Dass es ein Muster gibt, das sich schon x-mal wiederholt hat.

Dein Einwand zum Timing des Vorschlags ist für mich der spannendste: Dass Katharina den Abend nicht im Affekt nutzt, sondern ihn bewusst inszeniert, finde ich tatsächlich sehr reizvoll. Ich hatte sie bislang eher als Figur angelegt, die auf leisen Sohlen mit sich selbst ringt und dann impulsiv handelt, fast wie aus Notwehr. Aber vielleicht spricht nichts dagegen, diese Intuition stärker als Ergebnis eines Prozesses zu zeigen.
Du hast völlig recht: Sie ist kontrolliert, klug, vielleicht sogar strategisch. Warum also nicht den Vorschlag als bewussten Schritt zeigen, mit der Küche, dem Essen, der Musik, dem Kleid als stillem Prolog? Nicht, weil sie manipulieren will, sondern weil sie den Rahmen schaffen möchte, in dem sich das Gespräch endlich öffnen darf.
Das gibt mir auf jeden Fall noch etwas zu denken.


Was Henning betrifft: Deine Einschätzung, dass seine Verzweiflung echt ist und nicht mit Vertrauensverlust gleichzusetzen, hat mir ebenfalls noch einmal eine neue Perspektive eröffnet. Ich hatte seine „Bin ich nicht gut genug?“-Frage bislang eher als eine Art emotionalen Rückzugsversuch gelesen, aber du hast recht: Es wirkt stimmiger, wenn es nicht um Misstrauen, sondern um Hilflosigkeit geht.
Vielleicht lässt sich die Szene so überarbeiten, dass die Spannung bleibt, aber die Rollen sich noch klarer abzeichnen: Katharina als jemand, der Kontrolle sucht – aber auch bereit ist, etwas aufzugeben. Und Henning als jemand, der liebt, aber nicht mehr weiß, wie. Mein Hintergedanke war, dass man im Streit nicht immer „rational“ argumentiert – und dass bei Henning in diesem Moment etwas hochkocht, das schon länger brodelt.


Danke dir jedenfalls sehr für deine Gedanken.
 
Das freut mich ungemein, dass ich dir ein wenig weiterhelfen konnte.

Ich denke das hier ist der Schlüsselsatz in deinen Überlegungen

"Nicht, weil sie manipulieren will, sondern weil sie den Rahmen schaffen möchte, in dem sich das Gespräch endlich öffnen darf."

Daraus kannst du einen sehr schlüssigen Plot bauen.
 
Hallo millamomud,

ein paar Gedanken von mir:
Der Dialog zum Ende der Leseprobe kommt für mich nicht wie ein "Streit" rüber, obwohl er das wohl sein soll.
Wenn Du der Szene mehr Leben einhauchen willst, solltest Du die Dialoge mit mehr Aktion und Reaktion versehen.

Beispiel:
„Wie lange soll ich noch warten, Katharina? Ist da jemand anderes? In der Kanzlei? Arbeitest du deswegen immer so lange?“, fragte er mit flehendem Blick.
„Nein!“, verteidigte sie sich und knallte das Geschirrhandtuch auf die Ablage.

Abgesehen davon ist die Szene absolut realistisch und hat zwischen den Beiden mit Sicherheit schon mehrmals stattgefunden. Das ist bei langjährigen Beziehungen oft das Problem: Man dreht sich argumentativ im Kreis und führt die immer gleichen Diskussionen. Und da macht es für mich Sinn, dass sie eher im Affekt eine dritte Person ins Spiel bringt. Natürlich hat sie sich darüber bereits vorher Gedanken gemacht, aber es bedarf einer gewissen "Hitzigkeit" um den Gedanken auszusprechen.


lg
_Faith_
 
Hallo millamomud,

das von Dir beschriebene Setting ist für mich nicht stimmig. Ich kann das aus eigener Erfahrung sagen. Wenn es in der Ehe keinen Sex gibt, geht das praktisch immer von der Frau aus. Der Mann kann und will immer. Für sie muss für Sex aber alles stimmen, zwischenmenschlich, atmosphärisch und körperlich. Das wissen natürlich nach so langer Zeit beide. Und er weiß, dass Annäherungsversuche sinnlos sind, auch wenn die Hoffnung zuletzt stirbt. Und sie? Sie weiß, wann sie wieder bereit ist, über Sex nachzudenken. Bis dahin ist ihr klar, dass sie ihm keine Hoffnung machen darf. Das wäre hochgradig unfair, hochgradig boshaft. Und in Deinem Setting tut sie es. Mit dem Outfit, mit dem Essen. Sie macht ihm Hoffnung, nur um ihn dann abzuweisen. Dabei will sie ihn doch in Deiner Geschichte gar nicht verletzen, gar nicht demütigen.

Insofern wird ein Schuh daraus, wenn sie das Ganze inszeniert, um ihm dann den Vorschlag bei einem Annäherungsversuch zu unterbreiten. Dafür braucht es keinen Streit, keine Auseinandersetzung, denn er verhält sich so, wie sie es erwartet. Sie muss seinen Annäherungsversuch selbstbewusst zurückweisen und ihn mit ihrem Vorschlag konfrontieren. Das wäre für mich stimmig. Deswegen hat sie den Abend inszeniert.

Den Rest, also seine Argumente, kennt sie. Die muss er nicht wiederholen, nicht äußern. Konkret: Bis zu dem Satz „Ich kann das nicht mehr.“ ist alles ok. Ab dort sollte sie seine Argumentation unterbrechen und ihn mit ihrem Vorschlag konfrontieren. Der Streit, seine Argumente sind altbekannt, im Grunde trivial. Und damit an dieser Stelle fehl am Platz. Sie weiß doch, was er fühlt, wie er sich fühlt. Deswegen kommt sie ja mit dem Vorschlag. Und der Leser wird es verstehen. Denn, vermutlich haben die meisten verheirateten Männer deutlich weniger Sex, als sie es sich wünschen.
 
Hallo @_Faith_ und @Usi58

Zunächst einmal vielen Dank, dass ihr euch die Zeit genommen habt, euch so intensiv mit meinem Versuch auseinanderzusetzen. :) Auch möchte ich festhalten, dass ich mir des experimentellen Charakters der Geschichte durchaus bewusst bin, und ich selbst noch nicht weiß, ob ich sie zur Reife bringen werde oder überhaupt kann.

@_Faith_ hat die Szene so gedeutet, wie ich es intendiert hatte, allerdings gebe ich offen zu, dass ich einen etwaigen Plausibilitätsbruch durchaus im Blick hatte, mit Katharinas Inszenierung vs. ihrer Zurückweisung. Vielleicht sollte ich Katharinas Bewusstsein über Hennings Frust etwas klarer herausarbeiten, und das Wissen um den schmalen Grat, auf dem sie manövriert.

Und du hast damit Recht, @Usi58 , dass Katharina ihn nicht demütigen will. Sie will ihm aus ihrem schlechten Gewissen heraus etwas Gutes tun, aber einer intelligenten Person wie ihr sollte auch klar sein, welchen Effekt das auf ihren Mann haben wird. Im Kern läuft es auf die Frage hinaus, wie man einem Partner Wertschätzung zeigen kann, wenn man weiß, dass man eines seiner Grundbedürfnisse nicht stillen kann – oder nicht will.

Für die Dramaturgie der Geschichte halte ich den Streit aber für essentiell: Er bringt Spannung, Lautstärke und Eskalation. Ohne den Schlagabtausch wäre Katharinas Vorschlag eher eine kühle Verhandlung, weniger emotional, weniger hook, vielleicht auch weniger Fallhöhe, durch einen kalt durchkalkulierten Vorschlag.

Wenn ich Hennings Argumente streiche, verliere ich einen wichtigen Kontrast: Seine Verzweiflung vs. Katharinas kontrollierte Verlagerung des Problems. Mögliche Stellschraube: Den Streit nicht einkürzen, sondern pointierter gestalten – Katharina kennt seine Argumente, das kann man offen benennen. Damit nochmal klar wird, dass die Dynamik nicht neu ist. Dadurch werden seine Sätze nicht überflüssig, sondern wie ein Muster, das sich (endlos) wiederholt, und das Katharina diesmal durchbricht.

Worauf ich letztlich hinauswill: Ich suche nicht Realismus um jeden Preis, sondern emotionale Glaubwürdigkeit im literarischen Sinn.
Ich erhebe keinen Anspruch darauf, wahre Geschichten zu schreiben – wohl aber den, einen Erzählrealismus zu finden, der mir erlaubt, diese Geschichte überhaupt zu erzählen.
 
Last edited:
Hallo millamomud,

was willst du aus der Geschichte machen? Ein erotisches Abenteuer, geboren aus Unzufriedenheit, das nach hinten losgeht? Eine Charakterstudie, die den Aspekt des "ich kann keinen Sex mehr mit dir haben, obwohl ich dich liebe" herausstellt, also die innere Zerrissenheit der beiden, die sich im Laufe der Handlung ergibt und entwickelt? Oder ein Happy End, in dem Katharina merkt, dass ihr Frauen auch gefallen, oder beide, dass etwas Abwechlung genau das ist, was ihnen gefehlt hat? Etc.

Der Vorschlag, Henning solle seine Lust auf Sex bei einer anderen Frau befriedigen, ist nach so einem Abendessen völlig daneben für mich. Das Abendessen suggeriert den Wunsch auf Nähe und nach einem romantischen Abend mit... Sex am Ende. Mittendrin umzubiegen in die "nimm dir eine andere dafür" - Diskussion (sehr salopp und überspitzt geschrieben) ist schon... gewagt. Bei den meisten wäre der Abend gelaufen, die Diskussion damit beendet und das Thema für die nächste Zeit vergiftet.

So einen Vorschlag würde ich auf eine entspanntere, alltäglichere Situation wie z. B. die Couch verschieben, wenn beide nebeneinander sitzen. Evtl. hat Henning seine Frau im Arm und versucht vorsichtig, an sie heranzukommen. Katharina zieht sich zurück, als Reaktion des "ich kann nicht" und daraus ergibt sich der Vorschlag. Dieses Setting ist völlig erwartungsfrei, da es aus den gewohnten Tasgesablauf heraus entsteht.

Dein Tease and Denial - Setting (so würde ich das auffassen) hätte bei einem sicher nicht allzu geringen Teil der Männer zur Folge, dass sie unmittelbar oder kurz darauf den Vorschlag umsetzen. Soweit ist das ja beabsichtigt. Der Haken ist der Ausgangspunkt: im Streit ist Ärger vorprogrammiert, das Mindset bei der Suche und Umsetzung ist da schlicht anders als wenn es aus einer Art Vereinbarung zur Suche kommt. Bzw. zum Sex, für die Suche selbst ist das nicht allzu relevant. Außer, du willst die Story in diese Richtung entwickeln.

Die Umsetzung ist ja inzwischen viel einfacher. Es gibt Apps dafür, aber es reicht auch, eine offene Telegramgruppe mit passendem Namen zu erstellen. Oder man(n) geht in die Stadtbücherei. Die Frauen da haben die Schilde unten und rechnen nicht damit, dort angesprochen zu werden... alternativ funktioniert bestimmt auch die Markthalle im IKEA. Was da 'rumsteht, wird irgendwann mitgenommen... :LOL:

Jeder, der hier schreibt, hat eine andere Sichtweise. 🤷‍♂️ Aus allem hier kannst du dir eine für dich stimmige Geschichte zusammenrühren, es wird immer eine ganze Reihe Leser geben, die das nachvollziehen können, während andere es absurd bis unwahrscheinlich halten.

BTW - dass zuwenig Sex immer von Frauen ausgeht, stimmt nicht. Da kenne ich Gegenbeispiele.
 
Hallo @Doc_M1

vielen Dank für deine ausführliche Rückmeldung, und dass du dir die Zeit genommen hast, den Text aus einer realistischen Perspektive zu lesen. :)

Ich sehe die Geschichte tatsächlich weniger als erotisches Abenteuer (die Protagonistin hat ja keine Empfingung dafür), sondern eher als Charakterstudie über Nähe, Kontrolle und Entfremdung.
Der Moment am Ende des Abendessens ist kein kalkulierter Schachzug, sondern eine Affekthandlung: Katharina will Nähe herstellen, scheitert, und reagiert darauf mit einem paradoxen Vorschlag – einem „Lass mich los, damit du bleibst“. Das Abendessen ist deshalb eine Inszenierung der Normalität, die im falschen Moment zerbricht.

Damit klarer wird, welche psychologische Linie ich verfolge, hänge ich die Auszüge der zweiten Szene an – Katharinas Gespräch mit ihrer Freundin Nina.
Darin wird sichtbar, dass der Vorschlag kein kaltes Manöver ist, sondern aus Überforderung und Selbstzweifel entsteht:

Szene 2 – Die Freundin / Café mit Nina
Ich war zehn Minuten zu früh da. Natürlich. Ich war immer zu früh.
Die Nachricht hatte ich gestern Abend abgeschickt, kurz vor 11.
Ich habe Henning vorgeschlagen, dass er mit anderen Frauen schlafen darf. Ich glaub, ich brauch Kaffee.
Kein Kontext. Kein Smiley. Nur dieser eine Satz, nüchtern wie eine Vertragsklausel – und vielleicht genauso zerstörerisch.
Nina hatte keine fünf Minuten später geantwortet:
Alter. 15 Uhr. Unser Tisch.
[…]
„Ich will nicht, dass es wieder so endet wie mit Jan.“
„Du meinst … du lässt ihn lieber vögeln, bevor du ihn verlierst?“
„Ich weiß es nicht. Damals bei Jan hab ich zu lange gewartet. Nichts gesagt. Nichts getan.“
[…]
„Vielleicht versteh ich diese ganze Sex-Sache einfach nicht. Es fühlt sich falsch an. Als wäre ich Zuschauerin in meinem eigenen Körper.“
[…]
„Du bist nicht kaputt, Katharina“, sagte Nina. „Vielleicht brauchst du einfach jemanden, der dich sieht. Ohne Erwartungen.“


„Es müsste ja nicht … irgendwer sein“, sagte Nina.
Ich spürte, wie mein Herzschlag sich verschob.
„Würdest du das, was du für mich tun würdest, auch für ihn tun?“
Sie hielt meinem Blick stand.
„Wenn du es willst … ja.“

Vielleicht fällt die Ganze Übung aber auch in die Kategorie "Dinge, die lieber nicht geschrieben worden wären." ;)
 
@millamomud : Ich bin mir nicht ganz sicher, ob ich nach so vielen fundierten Kommentaren noch etwas Einsichtsvolles oder sonstwie Hilfreiches beisteuern kann. Ist aber auch egal, dann trag ich eben zur Verwirrung bei :LOL:

Nein, ernsthaft, was mich immer wieder verblüfft ist die Vielzahl der Blickwinkel, unter denen man einen Text betrachten kann, die unterschiedlichen Dinge, auf die jeder Leser wert legt, oder die er kritisiert.

Ich fand den Auszug wirklich sehr, sehr gut geschrieben, und ich lege Wert darauf, dass dieses Meinung nicht das übliche "Zuckerle" ist, dass die herbe Note der darauf folgenden Kritik erträglicher machen soll. Der Text zeichnet sich für mich durch etwas aus, auf das ich persönlich sehr viel Wert lege: Er baut eine gewisse Stimmung auf, berührt einen, und erreicht das vor allem durch eine Einheit von Sprache und Inhalt, eine Abstimmung beider Komponenten aufeinander. Von daher möchte ich mich vor allem auf deine dritte Frage konzentrieren, die Erzählstimme. Die passt für mich genau, und es ist eher selten.

Dein Text verbreitet eine eher triste, depressive Stimmung, die einem direkt an die Nieren gehen kann. Er beschreibt eine vor sich hin scheiternde Beziehung, die die Beteiligten nicht scheitern lassen möchten, und die sie doch zu retten außer Stande zu sein scheinen - bis auf den radikalen Vorschlag ganz zum Schluss, etwas, das ich weniger als geplant empfinde, sondern als Verzweiflungstat interpretiere: Vielleicht halbbewusst angedacht, auf einer tiefen Ebene überlegt, aber immer noch ein Vorschlag, der außerhalb eines emotionalen Ausnahmezustands niemals ausgesprochen werden würde. Aber damit sind wir bei der Glaubwürdigkeit, dem Realismus, und das ist nicht das, was ich bei Texten dieser Art für wirklich ausschlaggebend halte. Das ist für mich nicht wesentlich, das ist ja auch kein Krimi.

Die Sätze sind bei dir sehr knapp, kurz, fast lakonisch, und gerade dieser Stil trägt dazu bei, die Stimmung aufzubauen:

Ich blieb stehen.
Bewegte mich nicht.

Ich wusste, was er wollte.
Ich wusste auch, dass ich es ihm nicht geben konnte.
Nicht heute.
Nicht so.


Etwas langatmiges mit vielen Nebensätzen hätte einfach nicht gepasst.

Bei dir wird insgesamt nicht viel gesagt, du transportierst den emotionalen Zustand durch die Handlung: Das schöne Kleid, das aufwändige Essen - ich sehe nicht als Widerspruch zu der Verweigerung, ich sehe das als den Versuch, zu transportieren, dass die Frau den Mann noch liebt, und dass sie nach einem Ersatz für die körperliche Befriedigung sucht, die sie ihm nicht geben möchte. Diese Wortlosigkeit beschreibst du dagegen ausdrücklich:

Dann schwieg er wieder. Sah an mir vorbei. Als würde er hoffen, dass irgendjemand widerspricht. Ich hatte gerade unserem Ehebruch zugestimmt.

Und niemand hatte auch nur die Stimme erhoben.

Auch du nicht.


In deinen kurzen Sätze schwingt mehr mit, als andere mit der doppelten Zahl der Worte ausdrücken. Das verdichtet alles, lässt der Stimmung Raum.

Von daher finde ich auch deinen Dialog sehr stimmig. Die vielen Meinungen, die hier einen Logikfehler oder Unstimmigkeiten sehen, teile ich nicht. Sie haben sicher ihre Berechtigung, aber ich gehe einfach nicht mit der logischen Brechstange oder psychologischen Stimmigkeitsanalyse an diese Art Geschichte heran. Eine Anmerkung vielleicht zu dem Kommentar von @_Faith_ : Das sehe ich anders. Ich würde nicht versuchen, den Streit deutlicher zu machen. Das schwelt ja schon lange vor sich hin, und ist eher von Resignation, als von Wut und Zorn getragen. Und was Streits angeht - die wirklich üblen Streits sind die leisen, bei denen man mit Anlauf Dinge sagt, die einem ein paar Jahre auf der Zunge liegen. Die brüllt man nicht. Die sagt man einfach nur.
 
Last edited:
Für mich war die Überhöhung durch das Abendessen notwendig. Wäre der Vorschlag in einer alltäglicheren Situation gefallen – etwa beim Kuscheln auf der Couch –, hätte er sich wie ein weiterer Versuch angefühlt.
Der Bruch braucht aber diesen Moment der Kontrolle und Selbstinszenierung, damit ihre Zurückweisung überhaupt Gewicht bekommt. Das vermeintliche „Tease and Denial“ ist also keine Manipulation, sondern eine emotionale Fehlzündung: Sie will Nähe erzeugen, verliert aber in genau diesem Moment die Kontrolle darüber.
 
Der Bruch braucht aber diesen Moment der Kontrolle und Selbstinszenierung, damit ihre Zurückweisung überhaupt Gewicht bekommt. Das vermeintliche „Tease and Denial“ ist also keine Manipulation, sondern eine emotionale Fehlzündung: Sie will Nähe erzeugen, verliert aber in genau diesem Moment die Kontrolle darüber.
Das beantwortet meine erste Frage und daraus ergibt sich dieser Ablauf.
Jetzt will ich auc- wissen, wie es weitergeht. Sooo unrealistisch ist das Szenario ja gar nicht 🙃
 
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