Die Dann-Falle

Find ich klasse - die Sprache an sich dem "Tempo", oder allgemeiner der Situation anzupassen (y) Genau das liebe ich an Sprache, und den Diskussionen hier: Die tausend Gesichtspunkte und Möglichkeiten, die minimalen Abweichungen mit großem oder kleinem Effekt. Darum macht mir das Feilen auch an auf den ersten Blick banalen Unterschieden so viel Spaß. Im Gegenzug: Darum komm ich nicht zu Potte :oops: Aber sei's drum, der Weg ist das Ziel.

Mir ging es wieder mehr um den Rhythmus des Satzes. Aber ich nehme deine Idee auf und werde es bei passender Gelegenheit probieren :)
Ich wäre an deiner Einschätzung interessiert.

Von 1000 Lesern ... wie viele von denen erkennen das, an dem du immer wieder feilst?
Wer bemerkt, dass du es rhythmisch haben möchtest? Zur Erinnerung: ich habe es nicht bemerkt und deinen Text wegen unnötigen Füllwörtern kritisiert. Ein anderer Autor hat unverblümt sinngemäß gemeint, dass Rhythmus in einem Geschichtentext Blödsinn ist.
Wie viele erkennen, dass du durch gezielt gewählten Begriffe, Länge der Sätze etc. eine bestimmte Stimmung erzielen möchtest?
Wie viele Leser sagen nach der Lektüre: "Bei der Geschichte merkt man, dass sich da jemand ganz viele Gedanken gemacht hat."?
Ich möchte jetzt nicht von "Perlen vor die Säue werfen" sprechen, aber irgendwie trifft es das ja schon ...

Dass du in erster Linie dich selber zufriedenstellen möchtest und nicht die Leser ist mir klar und auch gar nicht zu beanstanden. Aber ärgert es dich auch manchmal, dass du deine Ideen nicht umsetzen kannst, weil du dir selber bzw. deine Ansprüche dir im Weg stehen? Mich würde es ärgern, wenn ich meine Fantasie nicht teilen könnte, weil ich an dem Streben nach Perfektion scheitere und meinen selbst definierten Ansprüchen nicht gerecht würde. Und es geht jetzt nicht darum, zum Fließbandautor zu werden, wie ich gerne bezeichnet werde ...

swriter
 
Was mich interessieren würde: Versuchst du auch andere Zusammenhänge zwischen der Handlung und der Sprache zu schaffen? Ein sprachliches Stakkato, wenn die Handlung schnell wird, das leuchtet mir ein. Aber gibt es mehr? Mir fallen leider wenig Beispiele ein. Ich versuche an einer Stelle, eine gewisse Trostlosigkeit oder depressive Stimmung zu schaffen, und mehr oder weniger intuitiv verwende ich kurze, eher einfache Sätze. Nichts gedrechseltes, verspieltes, keine Fremdworte, kaum Nebensätze. In der Hoffnung, dass das die Stimmung trägt. Aber diese Wechselbeziehung zwischen Sprache und Inhalt, oder wie ein bestimmter Stil eine bestimmte Stimmung stützt, das interessiert mich sehr. Das würde ich gern besser verstehen.
Trostlosigkeit und eine depressive Stimmung kann man auf mehrerlei Weise ausdrücken, denke ich:
  • die äußere Haltung - hängende Schulter, etc. - und sein tun, bzw. sein Nichtstun - ziellos umhergehen, z.B.
  • die innere Stimmung in Form von tristen Bildern schildern oder höchstwahrscheinlich bekannte Zitaten aus anderen Büchern oder Filmen erwähnen.
  • den Gemütszustand mit Adjektiven beschreiben, die bei der Leserschaft entsprechende Assoziationen hervorrufen.
Wenn diese Person sich im Rahmen der Geschichte so fühlt und es wenig bis keine Änderung gibt, würde ich bei einer bestimmten Art der Darstellung bleiben. Ständige Wechsel der Beschreibung bringen mehr Unruhe in die Geschichte.

Es sollte aber auch zu Dir und Deiner Art des Geschichten Erzählens passen. Das ist das, was Deinen Stil ausmacht.
So unterscheidet sich zum Bespiel die Sprache von George R R Martin von Tolkien und beide wieder von Tad Williams und Andrzej Sapkowski, obwohl sie alle vier im Fantasiebereich unterwegs sind, bzw. waren.
 
Wie viele erkennen, dass du durch gezielt gewählten Begriffe, Länge der Sätze etc. eine bestimmte Stimmung erzielen möchtest?
Wie viele Leser sagen nach der Lektüre: "Bei der Geschichte merkt man, dass sich da jemand ganz viele Gedanken gemacht hat."?
Ich möchte jetzt nicht von "Perlen vor die Säue werfen" sprechen, aber irgendwie trifft es das ja schon ...
Wir hatten diese Diskussion, und du gibst dir meine damalige Antwort ja schon selbst: Ich mache es für den einen Leser, den ich nie enttäuschen will: Mich selbst.

Aber ärgert es dich auch manchmal, dass du deine Ideen nicht umsetzen kannst, weil du dir selber bzw. deine Ansprüche dir im Weg stehen? Mich würde es ärgern, wenn ich meine Fantasie nicht teilen könnte, weil ich an dem Streben nach Perfektion scheitere und meinen selbst definierten Ansprüchen nicht gerecht würde
Definitiv ja. Manchmal nerve ich mich selbst. Aber das reguliert sich auch von selbst: Dann mache ich halt Schluss mit einer Stelle, lasse, sie, wie sie ist, oder komme später darauf zurück. Ich mache es nur für mich. Müsste ich damit mein Geld verdienen, ich würde es sofort einstellen.
Zur Erinnerung: ich habe es nicht bemerkt und deinen Text wegen unnötigen Füllwörtern kritisiert. Ein anderer Autor hat unverblümt sinngemäß gemeint, dass Rhythmus in einem Geschichtentext Blödsinn ist.
Hab ich nicht vergessen, und bin wie immer dankbar für eine ehrliche Meinung.

Von 1000 Lesern ... wie viele von denen erkennen das, an dem du immer wieder feilst?
Das könnte man tatsächlich diskutieren, unter dem Gesichtspunkt, was erkennen meint. In dem Sinne, dass sie hundertprozentig verstehen, was ich will - kaum einer unter hundert. Aber wie viel schwingt mit? Wer merkt, wenn auch unterbewusst, etwas ist "gut geschrieben" oder "stimmig" oder "athmosphärisch dicht"? Etwas mehr. Ist ein bisschen wie moderne Kunst: Ich verstehe nichts davon. Aber es gibt einige Stücke, da stehe ich vor diesem Riesen-Metall-Spagetthi, von dem ich auch nicht weiß, was sich der Künstler alles dabei gedacht hat, aber ich denke mir: Ich weiß nicht warum, aber irgendwie wirkt es - cool? Beeindruckend? Jedenfalls irgendwie gut. Ich nehme etwas mit, auch ohne es zu 100% verstanden zu haben.
 
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Trostlosigkeit und eine depressive Stimmung kann man auf mehrerlei Weise ausdrücken, denke ich:
  • die äußere Haltung - hängende Schulter, etc. - und sein tun, bzw. sein Nichtstun - ziellos umhergehen, z.B.
  • die innere Stimmung in Form von tristen Bildern schildern oder höchstwahrscheinlich bekannte Zitaten aus anderen Büchern oder Filmen erwähnen.
  • den Gemütszustand mit Adjektiven beschreiben, die bei der Leserschaft entsprechende Assoziationen hervorrufen.
Wenn diese Person sich im Rahmen der Geschichte so fühlt und es wenig bis keine Änderung gibt, würde ich bei einer bestimmten Art der Darstellung bleiben. Ständige Wechsel der Beschreibung bringen mehr Unruhe in die Geschichte.
Das ist alles richtig, aber es ist noch nicht ganz der Punkt, auf den ich heraus möchte. Ich möchte mehr als einfach nur beschreiben, oder Bilder schaffen, die eine bestimmte Assoziation auslösen. Genau wie du bei der Geschwindigkeit, möchte ich, dass die Sprache selber etwas unterstützt, auf einer tieferen Ebene. Ich versuche es mal mit einem weiteren Beispiel zum Thema Langsamkeit. Ein Blatt fällt vom Baum - das ist langsam, wenigstens, so lange keine Kokosnuss dran hängt ;)

Variante 1:
Der Wind erfasste jetzt das Blatt und spielte kurz damit, drehte es erst nach links, dann wieder nach rechts, bis sich der Stengel löste und der erste Vorbote der rot-goldenen Flut, die bald den gesamten Boden bedecken würde, langsam auf die Erde fiel, eine stumme Mahnung, dass auch der längste Sommer irgendwann sein Ende finden musste.

Variante 2:
Der Wind erfasste jetzt das Blatt. Er spielte kurz damit, drehte es erst nach links, dann wieder nach rechts. Der Stengel löste sich. Der erste Vorbote der rot-goldnene Flut, die bald den gesamten Boden bedecken würde, fiel langsam auf die Erde. Es war wie eine stumme Mahnung, dass auch der längste Sommer irgendwann sein Ende finden musste.

Fast gleich, aber Variante 1 bringt meiner Meinung nach Inhalt und Sprache besser zusammen. Ein langer, träger, gewundener Satz, der das zeitliche Element betont. Es wirkt auf mich harmonischer, ruhiger als die mehreren kurzen Sätze, und stimmungsvoller.

Jetzt wird es schwieriger, ich versuche das mal mit dem erwähnten Gefühl von Tristesse, so etwas depressives.

Variante 1:
Der alte Mann stand wie so oft allein an seiner Ecke, und das kurze Dach des Geschäfts, dass sich über seinem kahlen Kopf befand war gerade lang genug, neben dem Mann auch seinen Hut, den er vor sich auf die Straße gelegt hatte, vor dem allmählich heftiger werdenden Regen zu schützen, ohne dass das angesichts der wenigen, kleinen Münzen, die sich in der Kopfbedeckung angesammelt hatten, einen Unterschied gemacht hätte.

Klingt nicht lustig - alt, einsam, arm, und dazu dieses Wetter. Ich beschreibe die Äußerlichkeiten und ich baue ein Bild auf. Kapiert der Leser schon. Nur ist das genug, oder kann ich das noch besser machen?

Variante 2.
Der Regen fiel in Strömen. Der Alte war allein. Stand wieder an der Ecke rum, den Hut vor seinen Füßen. Darüber nur ein Dach. Gerade einmal lange genug, den kahlen Kopf zu schützen, und auch den alten Hut. Im Grunde war es gleich. Es war nur etwas Kupfer drin. Was machte es denn da noch aus, wie nass der Hut jetzt war.

Das ist wirklich schwieriger, und ich fühle, ich scheitere an der Aufgabe. Ich habe auch mehr geändert als beim fallenden Blatt, aber ich finde, Variante zwei ist - etwas drückender? Nicht nur, aber auch aufgrund der Sprache. Irgendwie knapper, lakonischer. Das würde ich gern besser können, und auf mehr Bereiche ausdehnen.
 
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Variante 1:
Der alte Mann stand wie so oft allein an seiner Ecke, und das kurze Dach des Geschäfts, dass sich über seinem kahlen Kopf befand war gerade lang genug, neben dem Mann auch seinen Hut, den er vor sich auf die Straße gelegt hatte, vor dem allmählich heftiger werdenden Regen zu schützen, ohne dass das angesichts der wenigen, kleinen Münzen, die sich in der Kopfbedeckung angesammelt hatten, einen Unterschied gemacht hätte.

Variante 2.
Der Regen fiel in Strömen. Der Alte war allein. Stand wieder an der Ecke rum, den Hut vor seinen Füßen. Darüber nur ein Dach. Gerade einmal lange genug, den kahlen Kopf zu schützen, und auch den alten Hut. Im Grunde war es gleich. Es war nur etwas Kupfer drin. Was machte es denn da noch aus, wie nass der Hut jetzt war.

Ich probiere es mal:

Das Rinnsal kroch, teilte sich auf, folgte dem unsichtbaren Gefälle. Der alte Mann starrte nicht auf den Hut, der vor seinen Füßen lag, nicht auf die Straße, nicht auf den Gehweg. Er starrte auf das Wasser. Es kam näher. Wie knotige Finger einer alten Hand. Er könnte den Hut aufheben, ihn vor der Nässe schützen, die Münzen nehmen und… Er blieb. Unter dem Dach. An der Ecke wo er immer stand. Es regnete in Strömen.

Edit: Den letzten Satz habe ich später hinzugefügt. Ich hatte den Regen vergessen 😂
 
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Das ist alles richtig, aber es ist noch nicht ganz der Punkt, auf den ich heraus möchte. Ich möchte mehr als einfach nur beschreiben, oder Bilder schaffen, die eine bestimmte Assoziation auslösen. Genau wie du bei der Geschwindigkeit, möchte ich, dass die Sprache selber etwas unterstützt, auf einer tieferen Ebene. Ich versuche es mal mit einem weiteren Beispiel zum Thema Langsamkeit. Ein Blatt fällt vom Baum - das ist langsam, wenigstens, so lange keine Kokosnuss dran hängt ;)

Variante 1:
Der Wind erfasste jetzt das Blatt und spielte kurz damit, drehte es erst nach links, dann wieder nach rechts, bis sich der Stengel löste und der erste Vorbote der rot-goldenen Flut, die bald den gesamten Boden bedecken würde, langsam auf die Erde fiel, eine stumme Mahnung, dass auch der längste Sommer irgendwann sein Ende finden musste.

Variante 2:
Der Wind erfasste jetzt das Blatt. Er spielte kurz damit, drehte es erst nach links, dann wieder nach rechts. Der Stengel löste sich. Der erste Vorbote der rot-goldnene Flut, die bald den gesamten Boden bedecken würde, fiel langsam auf die Erde. Es war wie eine stumme Mahnung, dass auch der längste Sommer irgendwann sein Ende finden musste.

Fast gleich, aber Variante 1 bringt meiner Meinung nach Inhalt und Sprache besser zusammen. Ein langer, träger, gewundener Satz, der das zeitliche Element betont. Es wirkt auf mich harmonischer, ruhiger als die mehreren kurzen Sätze, und stimmungsvoller.

Jetzt wird es schwieriger, ich versuche das mal mit dem erwähnten Gefühl von Tristesse, so etwas depressives.

Variante 1:
Der alte Mann stand wie so oft allein an seiner Ecke, und das kurze Dach des Geschäfts, dass sich über seinem kahlen Kopf befand war gerade lang genug, neben dem Mann auch seinen Hut, den er vor sich auf die Straße gelegt hatte, vor dem allmählich heftiger werdenden Regen zu schützen, ohne dass das angesichts der wenigen, kleinen Münzen, die sich in der Kopfbedeckung angesammelt hatten, einen Unterschied gemacht hätte.

Klingt nicht lustig - alt, einsam, arm, und dazu dieses Wetter. Ich beschreibe die Äußerlichkeiten und ich baue ein Bild auf. Kapiert der Leser schon. Nur ist das genug, oder kann ich das noch besser machen?

Variante 2.
Der Regen fiel in Strömen. Der Alte war allein. Stand wieder an der Ecke rum, den Hut vor seinen Füßen. Darüber nur ein Dach. Gerade einmal lange genug, den kahlen Kopf zu schützen, und auch den alten Hut. Im Grunde war es gleich. Es war nur etwas Kupfer drin. Was machte es denn da noch aus, wie nass der Hut jetzt war.

Das ist wirklich schwieriger, und ich fühle, ich scheitere an der Aufgabe. Ich habe auch mehr geändert als beim fallenden Blatt, aber ich finde, Variante zwei ist - etwas drückender? Nicht nur, aber auch aufgrund der Sprache. Irgendwie knapper, lakonischer. Das würde ich gern besser können, und auf mehr Bereiche ausdehnen.
Für mich als Leser machen die Varianten keinen Unterschied. Ich lese, WAS da steht, nicht WIE es da steht. Ob das ein Satz ist oder vier - das ändert nichts daran, wie ich die Situation wahrnehmen würde.

Kann natürlich sein, dass ich für solche Details keine Antennen habe, nicht empfänglich dafür bin. Von mir aus kann man auch behaupten, ich wäre kein guter Autor, weil mir dieses besondere Sprachgefühl fehlt. In meinen Texten achte ich nie auf derartige Spitzfindigkeiten. Und da sich trotzdem Tausende Leser finden, die mein Zeug regelmäßig konsumieren, unterstelle ich, dass auch viele Leser auf der Plattform keine Antennen für diese Dinge haben.

swriter
 
Ich mag solche langen Sätze wie in den Beispielen nicht. Sie sträuben sich in mir ;) Das ist vor allem dann der Fall, wenn sie im Grunde mehrere Szenen oder mehrere Aspekte einer Szene auf einmal enthalten. Irgendwann muss doch mal ein Punkt kommen, damit ich mich ausruhen kann!!

Wenn ich an einem Text arbeite, versuche ich, die Situation/Szene so gut es geht zu empfinden und lasse einfach kommen, was kommt. Das klappt erstaunlich oft, und erstaunlich oft sind die Passagen gut, wo es geklappt hat. Tja, und erstaunlich oft sind meine Sätze dann recht kurz.

Tendenziell hätte ich vor dem Lesen eurer Beiträge @swriter zugestimmt, dass ich lese, *was* da steht und weniger *wie* es da steht. (Beim lesen fremder Texte, nicht meiner eigenen.) Jetzt bin ich mir da nicht mehr so sicher. Muss das mal beobachten...

Leinen.
 
Noch ein Aspekt, den ich eben vergessen habe: Für mein Empfinden geht die Athmosphäre bei (sehr) langen Sätzen eher verloren, als dass sie sich verdichtet. Vielleicht weil ich mich mehr und mehr auf den Satz konzentrieren muss, je länger er ist. Ihn vielleicht sogar zweimal lesen!

Sehr subjektiv, ich weiß...

Leinen.
 
Noch ein Aspekt, den ich eben vergessen habe: Für mein Empfinden geht die Athmosphäre bei (sehr) langen Sätzen eher verloren, als dass sie sich verdichtet. Vielleicht weil ich mich mehr und mehr auf den Satz konzentrieren muss, je länger er ist. Ihn vielleicht sogar zweimal lesen!

Sehr subjektiv, ich weiß...

Leinen.
Das ist keineswegs subjektiv, sondern wissenschaftlich erwiesen, dass die „Ausstiegsquote“ bei zu vielen langen Sätzen höher ist. Allerdings gilt das Gleiche, wenn der Autor es mit maschinengewehrartigen kurzen Sätzen übertreibt. Das ermüdet auf Dauer nämlich auch.
 
Nur zur Klarstellung: Es geht mir nicht speziell um kurze oder lange Sätze, das war nur das Anwendungsbeispiel. Es geht mir generell um Sprache, die den Inhalt unterstützt, auf welche Art auch immer. Viel besser als TiefimWesten kann ich es eigentlich nicht ausdrücken: Das ist wie gute Filmmusik, die sowohl die Stimmung wie das Tempo der konkreten Szene unterstützt.
 
Kann natürlich sein, dass ich für solche Details keine Antennen habe, nicht empfänglich dafür bin. Von mir aus kann man auch behaupten, ich wäre kein guter Autor, weil mir dieses besondere Sprachgefühl fehlt. In meinen Texten achte ich nie auf derartige Spitzfindigkeiten. Und da sich trotzdem Tausende Leser finden, die mein Zeug regelmäßig konsumieren, unterstelle ich, dass auch viele Leser auf der Plattform keine Antennen für diese Dinge haben.
Ich finde, keiner hier hat es mehr nötig, sich für seine Art zu Schreiben zu rechtfertigen. Und keiner hier denkt schlecht von dir, weil du bestimmte Dinge dabei in den Fokus rückst, und andere eben nicht.
 
Variante 1:
Der alte Mann stand wie so oft allein an seiner Ecke, und das kurze Dach des Geschäfts, dass sich über seinem kahlen Kopf befand war gerade lang genug, neben dem Mann auch seinen Hut, den er vor sich auf die Straße gelegt hatte, vor dem allmählich heftiger werdenden Regen zu schützen, ohne dass das angesichts der wenigen, kleinen Münzen, die sich in der Kopfbedeckung angesammelt hatten, einen Unterschied gemacht hätte.

Klingt nicht lustig - alt, einsam, arm, und dazu dieses Wetter. Ich beschreibe die Äußerlichkeiten und ich baue ein Bild auf. Kapiert der Leser schon. Nur ist das genug, oder kann ich das noch besser machen?
Lasse ihn etwas sagen, damit das Bild zum Leben erwacht.

Beispiel:
Der alte Mann stand an seiner Ecke unter dem Dach des Geschäfts. Neben ihm lag sein Hut auf der Straße und wurde allmählich nass vom Regen.
Er schaute hinein, sah die wenigen Münzen und sagte leise: "Ja, mein alter Freund, jetzt sind wir wieder alleine und es reicht heute wohl kaum für mehr als eine dünne Suppe."
 
Lasse ihn etwas sagen, damit das Bild zum Leben erwacht.

Beispiel:
Der alte Mann stand an seiner Ecke unter dem Dach des Geschäfts. Neben ihm lag sein Hut auf der Straße und wurde allmählich nass vom Regen.
Er schaute hinein, sah die wenigen Münzen und sagte leise: "Ja, mein alter Freund, jetzt sind wir wieder alleine und es reicht heute wohl kaum für mehr als eine dünne Suppe."
Find ich gut, vor allem, weil das Selbstgespräch eine doppelte Funktion erfüllt: Es transportiert den Inhalt (allein und ziemlich runtergekommen), und es unterstreicht es durch die bloße Tatsache, dass sich der Mann mit seinem Hut unterhält.

Und eine weitere Klarstellung: Das ist wirklich nur ein Beispiel, das ich mir für diesen Thread ausgedacht habe, wei Eingangs Japackl. Nichts aus irgendeiner Geschichte, die ich gerade schreibe. Wäre mir auch etwas zu sehr auf die Tränendrüse gedrückt ;)
 
Find ich gut, vor allem, weil das Selbstgespräch eine doppelte Funktion erfüllt: Es transportiert den Inhalt (allein und ziemlich runtergekommen), und es unterstreicht es durch die bloße Tatsache, dass sich der Mann mit seinem Hut unterhält.

Und eine weitere Klarstellung: Das ist wirklich nur ein Beispiel, das ich mir für diesen Thread ausgedacht habe, wei Eingangs Japackl. Nichts aus irgendeiner Geschichte, die ich gerade schreibe. Wäre mir auch etwas zu sehr auf die Tränendrüse gedrückt ;)
Ist doch ein guter Aufhänger für eine Story über einen Hut-Fetischisten. Einfach mit "Oh, ein Kondom, dann brauche ich dich diesmal hinterher nicht sauberzumachen" anschliessen und ab geht die Luzie.
 
Ist doch ein guter Aufhänger für eine Story über einen Hut-Fetischisten. Einfach mit "Oh, ein Kondom, dann brauche ich dich diesmal hinterher nicht sauberzumachen" anschliessen und ab geht die Luzie.
Im nächsten Satz wollte ich eigentlich den Hut zu Wort kommen lassen:
"Hey Alter, zieh mal nicht so ein Gesicht. Die dicken Scheine habe ich unter dem Innenfutter versteckt und da hat die dralle Rothaarige auch einen Zettel mit ihrer Adresse hineingesteckt."
 
Meine Frage an meine Texte ist immer: Schaffe ich es, Leser in die Geschichte hineinzuziehen, so dass sie sie in einem Rutsch durchlesen wollen?

Was typischerweise Leser davon abhält, in eine Geschichte einzutauchen, ist:

1) Zu viele Zahlen (In englischen Lit ist etwas wie "I am 6'2", 160 pounds, my cock is 12' " üblich, grrr.)
2) Verwirrung, wer gerade spricht.
3) Zu lange Sätze mit zu vielen Nebensätzen, zu lange Abschnitte.

Alles andere ist Geschmacksache.
 
Meine Frage an meine Texte ist immer: Schaffe ich es, Leser in die Geschichte hineinzuziehen, so dass sie sie in einem Rutsch durchlesen wollen?

Vor der Herausforderung stehen wir alle, und ich behaupte, du hast nur einen Absatz Raum, um den Leser an Bord zu bringen, bevor er gelangweilt abspringt. Das kann was erotisch aufgeladenes sein (und ja, ich stimme zu, abseits der Pubertät hat niemals wer einen Ständer von "sie war blond, blauäuig, und hatte 90-60-90" bekommen). Aber erotisch dauert oft zu lang. Es kann an der Athmosphäre liegen, in die man sofort eintaucht. Oder es muss war interessantes sein, Spannung aufbauen, die Neugier auf wie-geht-es-weiter wecken.

Um im Beispiel zu bleiben:

"Der Hut war wieder leer. Wenigstens, solange man von den zwei Kronkorken absah, die irgendein Scherzbold achtlos reingeworfen hatte. Das Ding war wie verhext. Seit er den alten, vom ständigen Gebrauch schon ganz fettigen Schlappen aus dem Müll gerettet hatte, ging es mit ihm bergab. Anfangs hatte er ihn getragen, nicht, weil ihm der altersdunkle Filz mit der breiten Krempe gefallen hatte, sondern einfach nur, um dem ständigen, eisigen Regen zu entgehen, der die letzten Wochen über gefallen war. Aber das hatte sich Bolle schleunigst wieder abgewöhnt. Es war wirklich merkwürdig. Sobald er mit dem Hut gesehen wurde, schienen sich die Menschen von ihm abzuwenden. Die offenen, oft mitleidigen oder auch wohlwollenden Augen, in die er sonst so häufig blickte, verengten sich binnen Sekunden zu argwöhnischen Schlitzen, sobald sie den Hut erfassten, und die Menschen schienen ihn zu meiden. Einige hatten sich umgedreht und hässlische Dinge gezischt, und eine Gruppe Kinder war so weit gegangen, ihm Steine hinterher zu werfen. Verschwendung war ihm fremd, und so war Bolle dazu übergangen, den Hut vor sich auf der Straße zu positionieren, wenn er auf Zuwendungen wartete. Das machte es noch schlimmer. Die kleinen und die großen Spenden, die ihn in dieser freundlichen und wohlhabenden Gegend Turins sonst so gut über den Tag gebracht hatten, schienen zu versiegen, und am Abend blieb nicht mehr als etwas Kupfer in dem Hut zurück, kaum genug für einen Teller dünne Suppe. Vielleicht war er ja doch verflucht? Bolle schüttelte den Kopf, ärgerlich mit sich selbst. Das war natürlich Quatsch. So etwas gab es nicht. Er war ganz einfach hässlich, das musste es wohl sein. Wer trug denn noch Fedora?"
 
Last edited:
Es regnete noch immer. Die Menschen gingen an ihm vorbei, darauf achtend nicht in tiefere Pfützen zu treten. Niemand nahm Notiz von Bolle und auch nicht von dem schwarzen Fedora mit der breiten Krempe, dessen einziger Inhalt zwei Kronkorken waren.

Die Menschen gingen nach Hause oder zu einer abendlichen Verabredung. Das nahm Bolle jedenfalls an. Manchmal stellte er sich vor, was die anderen taten, wenn sie daheim waren. In ihren eigenen vier Wänden. Seine Erinnerung daran wie es ist in einer Wohnung zu leben, war mit den Jahren verblasst. Seit mehr als drei Jahrzehnten war sein Zuhause tagsüber die Straße und nachts eine Sammelunterkunft für Obdachlose.

Bolle hob den Hut auf, warf die Kronkorken in den nächsten Abfallbehälter und machte sich auf den Weg zur Unterkunft. Es war kaum mehr als eine Viertelstunde bis dahin, aber heute schien ihm der Weg länger zu sein. Dann wurde ihm klar warum. Er war einen Umweg gegangen. Seine Füße kannten den Weg in- und auswendig, dennoch hatten sie ihn in diese kleine Straße geführt. Bolle erkannte das Haus sofort wieder. Vor einigen Wochen hatte er in einer Mülltonne vor diesem Haus den Hut gefunden und mitgenommen. Ohne zu überlegen griff er nach dem Hut in seiner Plastiktüte und legte ihn auf den halbhohen Torpfosten. Er wollte sich schon abwenden als ein Fenster im Erdgeschoss aufgerissen wurde und eine dünne schwarz gekleidete Gestalt auftauchte. Die Stimme beschimpfte ihn in einer Sprache, die er nach einigen Sekunden als Italienisch identifizierte. Reinstes Italienisch. Kein Dialekt.
 
Last edited:
„t…tut mir leid.“ stammelte Bolle.

„Können Sie bitte meine Frage beantworten?“ kam es von der Gestalt am Fenster.

„Welche Fra…“

„Natürlich die, welche ich eben an Sie gerichtet habe!“

Bolle bekam langsam weiche Knie.

„Es kann doch nicht so schwer sein, eine simple Frage zu beantworten!“

Die Gestalt trommelte ungeduldig mit den Fingern auf den Fensterrahmen.

„Wie war …“

„Wessen Eigentum ist dieser Hut?“

Der ausgestreckte Arm deutete in Richtung des Fedoras, der auf dem gemauerten Pfosten der Pforte thronte.

Bolle fühlte wie ihm der Schweiß den Rücken hinunterlief.

„Ähm, ich dachte, weil der in der Mülltonne lag, gehö…“

„gehört der Hut niemandem?“

Bolle nickte.

„Falsch gedacht!“ beschied ihm die Gestalt am Fenster spitz.

„Der Hut war mein Eigentum und ist jetzt Eigentum der Müllabfuhr!“

„Aber die braucht doch sicher keinen Hu…?“

Das zu beurteilen, überlassen Sie lieber anderen!“

„Tut m…mir ehr…lich leid, ich wusste dass nicht und…“

„Humbug!“

Dann meinte Bolle noch so etwas wie „Guten Tag!“ vernommen zu haben, aber da hatte er sich bestimmt verhört.

Die Fensterflügel wurden schwungvoll zugezogen und verriegelt.

Es rauschte. In den Ohren, im Kopf… er konnte nicht mehr…

„Ist Ihnen nicht gut?“

„Ich… verstehe… die Frage… nicht…“

„Kommen Sie, setzen Sie sich doch einen Augenblick…“

Sanft schob sich ein Arm unter seinen und geleitete ihn in den benachbarten Garten. Bolle bekam kaum mit wie er zu der kleinen Veranda geführt und dort behutsam auf einen Stuhl gedrückt wurde.

„Ich verstehe die Frage nicht.“ flüsterte er.

Ein Glas Wasser wurde in sein Blickfeld geschoben.

„Ich auch nicht!“

Überrascht schaute Bolle auf und sah in das Gesicht einer Frau. Grüne Augen musterten ihn besorgt. Dann verzogen sich die vollen Lippen zu einem Lächeln und Lachfältchen umgaben die Augen. Bolle erwiderte das Lächeln.

„Fühlen Sie sich besser?“

Langsam nickte er und schaute dabei die Frau unentwegt an. Ihre rötlichen Haare umgaben ihr Gesicht lieblich…

,Bolle, krieg‘ Dich wieder ein! Du hast den ganzen Tag kaum gegessen und getrunken und jetzt fantasiert Du…‘ sagte er stumm zu sich selbst.

„Aber Sie fantasieren doch gar nicht.“

,Oh Gott!‘ Hatte er das eben wirklich laut gesagt? Bolle fühlte noch wie es im Kopf rauschte. Dann wurde ihm schwarz vor Augen.
 
Last edited:
Als Bolle etwas später die Augen wieder öffnete, lag er auf einer Bank, immer noch auf der Teerrasse. Die rothaarige Frau saß daneben und lächelte ihn an.

"Na, wieder unter den Lebenden?", fragte sie.

"Scheint so.", antwortete er mit heißerer Stimme und etwas irritiert. "Wissen sie, warum der Mann sich wegen dem alten, weggeworfenen Hut so aus dem Fenster heraus aufgeregt hat?"

Mit einem Seufzen sah sie ihn an. "Ach, das weiß keiner so genau. Das ist eben Auden, der regt sich über Dinge auf, die kaum einen wirklich interessieren." Ihr Blick war ruhig auf Bolle gerichtet. "Manche ignorieren ihn einfach, das macht am wenigsten Stress."

Bolle verzog seine Lippen zu einem schiefen Lächeln. Er überlegte, ob er es nicht auch so machen sollte. Den Hut hatte er ja schon weggelegt. Weiterhin wollte er die paar Kupfermünzen, die er mit dem Hut gesammelt hatte, in eine kleine Mahlzeit investieren. Er wollte sich aufsetzen, aber ein leichter Schwindel hieöt ihn davon ab.

Die Frau griff ihm unter die Arme und stützte ihn. Nachdem sie sah, wie er wieder klar wurde, half sie ihm, sich aufzusetzen. Dann kam auch schon ihre Freundin mit der kleinen Mahlzeit an. Bolle tat ihr nicht einfach leid, er erinnerte sie an jemanden.
 
Allein die stilistischen Unterschiede von allen hier sind schon wieder richtig interessant :cool: Aber ich hatte keinesfalls vor, eine Welle auszulösen. Von daher, glaube ich, wünsche ich Bolle und seiner Rothaarige alles Gute und überlasse sie ab hier sich selbst ;)
 
Allein die stilistischen Unterschiede von allen hier sind schon wieder richtig interessant :cool: Aber ich hatte keinesfalls vor, eine Welle auszulösen. Von daher, glaube ich, wünsche ich Bolle und seiner Rothaarige alles Gute und überlasse sie ab hier sich selbst ;)
naja, ich sitze hier im orangenen Ohrensessel, schaue auf 6 Flaschen Tamnavullin Whisky, die von einem Laserschwert beleuchtet werden, und denke: "Na, da hab' ich grad' eine Idee, da schreib ich jetzt was."

Und jetzt habe ich irgendwie Lust auf eine offene Story, wie sie @Sena78 mal gemacht hat.
 
ich sitze hier im orangenen Ohrensessel, schaue auf 6 Flaschen Tamnavullin Whisky, die von einem Laserschwert beleuchtet werden
Sag nicht, du bist in den Nerd-Himmel aufgestiegen :oops:

Aber ich gebe Chimkcifettib recht: für ein Nachwort ist sicher noch Platz. Wobei, Sena78 und die Forengeschichte, das wollte ich für mich immer noch zu Ende bringen. Ich komm einfach zu nichts.
 
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