Bataille?

PoppingTom

TEH BRAIN
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Jan 8, 2010
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Auden James said:
@ Popping „Brain“ Tom

Ich weiß nicht, wo du die Stichwörter, die du anführst, herhast (vielleicht aus deinem eigenen vorurteilsbehafteten Kopf?), aber selbst wenn man sie um des Arguments willen akzeptierte, so wüsste ich nicht, was an ihnen verwerflich oder abwertend wäre?

Ich meine Sade ist in der Tat ein herausragender früher Exponent, was (literarische) Erotisma anbelangt, und Surrealismus und Existentialismus sind auch nicht gerade unbedeutende Strömungen der Kunst bzw. Philosophie, und an einer wenn auch tragischen Wahrheit über die Erotik ist per se auch nichts auszusetzen (es sei denn natürlich, man hätte etwas gegen Wahrheit u/o Tragik bzw. interessierte sich nicht für sie, wie es ja bei Bullshittern häufiger der Fall ist).

Und wenn du von dir behauptest, extra darauf zu achten, zur Literatur Batailles „nie [...] auch nur ansatzweise hinzutendieren“, dann klingt das für mich bloß nach einem tiefen Vorurteil, statt einem eigentlichen Lektüreurteil über Bataille.

Außerdem habe ich nirgends behauptet, dass „Histoire de l’œil“ mir allein deshalb 5 Sterne wert sei, weil es ein Beispiel für die „typischen erotischen Fantasien eines Ex-Katholiken“ abgäbe. Diese Zuschreibung und Unterstellung kommt allein von deiner Seite. Ich kann jedenfalls nicht beurteilen, wie die sexuellen Fantasien von Ex-Katholiken typischerweise aussehen. Ich war und bin keiner, weder Katholik noch Ex-Katholik. Du vielleicht?

Und schließlich erscheint es zweifelhaft, dass du, wenn du Bataille anscheinend niemals (freiwillig) lesen würdest oder gelesen hast, überhaupt fähig bist, ein gültiges Urteil über Batailles Literatur zu finden.

Ebenso zweifelhaft übrigens erscheint auch deine Kategorisierung von „Histoire de l’œil“ als „erotische Literatur“, denn ich glaube kaum, dass die Anhänger dieses Begriff es guthießen, wenn in ihrer „erotischen Literatur“ schließlich ein Priester angesichts einer sich selbst befriedigenden Jugendlichen im Beichtstuhl sein Gelübde vergisst, sich von ihr einen Blasen lässt, bevor ihn ihre Begleiter fesseln und sie den Priester in einer Quasi-Vergewaltigung schließlich abreitet und sie ihn während seines Orgasmus erdrosselt, bevor seine Leiche von ihr und ihren Begleitern geschändet wird – und das alles in expliziter Wortform.

Aber gut, diese Kategorisierungssache ist nicht mein Problem, denn, wie du weißt (wenn auch nicht akzeptierst), ist das alte Scheinproblem von Erotik und Pornographie ja m.E. überholt und aufgelöst bzw. aufgehoben.

Also besagte Stichwörter hab ich von - positiven - Rezensionen auf Amazon.

De Sade ist für mich kein Erotiker. Auch kein Pornograph. Das sage ich rein subjektiv. Wenn DAS Erotik ist, dann bin ich stolz, unerotische Texte zu veröffentlichen.

Und Surrealismus und Existenzialismus mögen bedeutende Strömungenn der Kunst gewesen sein, fallen für mich aber unter "gestern" und "schwer verdaulich", was beides für mich negativ besetzt ist. Genauso wie "Fantasien eines Ex-Katholiken", und nein, ich bin keiner, wäre ich einer, fände ich Bataille wahrscheinlich genial. Für mich ist Exisztenzialismus eine Art No-Go in der Pornographie, das beste Mittel, jegliches erotische Gefühl mit der Holzhammermethode auszutreiben.

Bisher sehe ich auch - gerade wegen dem von dir genannten Beispiel - wenig Gründe zu glauben, dass Bataille irgendetwas anderes ist als ein verkappter Ex-Katholik. Aber ich lass mich da gerne vom Gegenteil überzeugen.
 
@PT

Hi, "Brain",

wenn ich mich richtig erinnere, war der Ausgangspunkt wg BATAILLE doch die Tatsache, dass "AJ" ihn bei "Schrankdienst" von "GudrunGanzglatt" als Beispiel für ne 5-Punkte-Story angeführt hat.
Und im nächsten Kommentar von ihm kam dann SCHILLER.

Ich habs grade noch einmal in nem Kommentar dort gesagt: Es geht bei LIT nicht um BATAILLE oder SCHILLER- Es geht um: "Gudrun fickt den Hausmeister."

Und die Gattung "Erotismo" gibt es nicht!
Der Begriff ist ne Erfindung von "Auden."

Wir solten wirklich nicht versuchen, aus LIT ein ernsthaftes literarisches Forum zu machen.
Hier schreiben die meisten aus Spass an der Freud, und um geil zu unterhalten und mit ihrem Zeugs vielleicht zu erregen.
Um mehr gehts bei LIT nicht, und das ist auch gut so.

Und die Diskussion über die Unterschiede zwischen Pornografie und Erotik ist noch längst nicht entschieden, und es ist kein Scheinunterschied, wie "AJ" behauptet.
Es gibt genügend Leute, die das anders sehen, und sie haben gute Argumente dafür.
Aber diese Diskussion gabs hier schon zig Mal.
Kann man alles nachlesen.

lg
"Rosi" (Johannes)
 
Worüber wollen wir reden?

Also besagte Stichwörter hab ich von - positiven - Rezensionen auf Amazon.
Interessant.
Aber geht es hier nun darum, was jene Typen auf Amazon.de zum Besten zu geben meinten oder darum – ja, worum eigentlich?

Zunächst würde ich gern klären, ob du den Text, der ja – ich denke, darin sind wir uns einig – der Stein des Anstoßes für diese Diskussion ist, nämlich Histoire de l’œil von Georges Bataille, überhaupt gelesen hast.

Damit wäre nämlich klar, auf welcher Grundlage unsere Diskussion überhaupt steht. Ich für meinen Teil habe jenen Text jedenfalls, glaube ich, so dreimal gelesen. Das letzte Mal ist aber schon etwas länger her. Wenn es also um Detailfragen zum Text gehen sollte, so müsste auch ich nochmals in den Text hineinlesen.

Ja, und schließlich wüsste ich gern, was du hier überhaupt bereden möchtest?

Jedenfalls, so viel kann ich vorweg sage, finde ich auch deine Selbstbekundung interessant, dass ‚schwer verdaulich‘ für dich negativ besetzt sei. Insofern dürfte dir, denke ich, Histoire de l’œil so oder so nicht zusagen, denn selbst heute nach so vielen Jahrzehnten seit der Niederschrift durch Bataille ist Histoire de l’œil offenbar noch immer – in welchem Sinne auch immer – ‚schwer verdaulich‘, was ja z.B. auch die Aussagen auf Amazon.de belegen, wo es heißt, dass es sich um „völlig sinnfreies, postmodern anmutendes Geschwafel“ handele oder der Text „schwierig geschrieben“ und „fast abstossend“ sei.

Und schließlich frage ich mich auch, inwiefern es für die Beurteilung des Texts eine Rolle spielt, ob Bataille nun ein „verkappter Ex-Katholik“ war oder nicht?
(Ich verweise wieder einmal darauf, dass Person und Aussage zu trennen sind.)

Also, ich warte, dass die Ausgangsfragen geklärt sind. Vorher scheint es mir gar keine Diskussion hier geben zu können.

Beste Grüße
–AJ
 
Last edited:
@Auden

Hi,
du stellst in P 3 die richtige und wichtigste Frage vor einer Diskussion.
Man sollte nach Möglichkeit sicher stellen, dass alle über dasselbe reden.

BATAILLEs "Historie..." hab ich vor Jahren mal auszugsweise in ner deutschen Übersetzung gelesen.
Damals gabs noch keine komplette Übersetzung.
Bzw. Ich hatte damals zumindest keine komplette Überetzung.

Ich hab einiges ÜBER Bataille gelesen. Ist aber auch schon ne Weile her.
Dennoch glaube ich, die Grundzüge seines Denkens noch gut präsent zu haben.

Nun ja, ich werd mich erst mal wieder etwas einlesen bezügl. BATAILLE.
Die Ergebnisse wirst du dann hier sehen können.(Und "PT" natürlich auch)

lg
"Rosi" (Johannes)
 
Nun ja, ich werd mich erst mal wieder etwas einlesen bezügl. BATAILLE.
Die Ergebnisse wirst du dann hier sehen können.(Und "PT" natürlich auch)
Schön, dass du das tun möchtest. Schadet deiner Bildung insbesondere bzgl. Bataille sicher nicht. ;-)

Aber ich frage mich schon, ob das überhaupt nötig ist, denn schließlich wissen wir (oder zumindest ich) noch immer nicht, worüber unser Brain denn überhaupt hier sich austauschen möchte?

Ich warte ab.

Beste Grüße
–AJ
 
@Auden

Hi,
nun, wir werden sehen.
"Brain Tom" wird sich dazu ja sicherlich noch äussern.

Wenn ich mich richtig an BATAILLE generell und an "Historie..." speziell erinnere, sind es doch aber eher philosophische Reflektionen über Sexualität denn lieterarische?
Beides kann zwar zusammengehen, ist aber meines Erachtens recht selten der Fall.
Und nen eher philosophischen Text als Maßstab zur Bewertung von "Erotisma" zu nehmen?
Hm...ich weiß nicht recht???
Na, jetzt warten wir erst Mal, was "PT" zu sagen hat.

lg
"rosi" (Johannes)
 
Zunächst würde ich gern klären, ob du den Text, der ja – ich denke, darin sind wir uns einig – der Stein des Anstoßes für diese Diskussion ist, nämlich Histoire de l’œil von Georges Bataille, überhaupt gelesen hast.
Nun, bisher nicht. Ich hab mir bisher lediglich überlegt, ob ich mir Bataille überhaupt antun sollte. Bisher spricht wenig dafür.

Ja, und schließlich wüsste ich gern, was du hier überhaupt bereden möchtest?
Tja, was will ich eigentlich bereden?

Zunächst einmal will ich wissen, warum nur existenzialistische Künstler bei besonders kritischen Geistern in den Genuss einer herausragenden Wertung kommen.

Es ist ja nicht nur bei Büchern so, sondern auch beim Film oder der Musik. "Herausragend" bedeutet oft "schwer verdaulich, schwer zugänglich, mit fragwürdiger Dramatik". Meistens sind diese Sachen gar nicht soviel besser als normale Sachen, nur intellektueller verpackt, so dass die Diskussion um diese Werke oftmals Teil der Kunst ist. Nur ist der Erkenntnisgewinn dann sehr oft konservativer Natur - und ich vermute mal stark, dass DAS der einzige Grund für die hohe Wertung ist.

Jedenfalls, so viel kann ich vorweg sage, finde ich auch deine Selbstbekundung interessant, dass ‚schwer verdaulich‘ für dich negativ besetzt sei. Insofern dürfte dir, denke ich, Histoire de l’œil so oder so nicht zusagen, denn selbst heute nach so vielen Jahrzehnten seit der Niederschrift durch Bataille ist Histoire de l’œil offenbar noch immer – in welchem Sinne auch immer – ‚schwer verdaulich‘, was ja z.B. auch die Aussagen auf Amazon.de belegen, wo es heißt, dass es sich um „völlig sinnfreies, postmodern anmutendes Geschwafel“ handele oder der Text „schwierig geschrieben“ und „fast abstossend“ sei.

Und schließlich frage ich mich auch, inwiefern es für die Beurteilung des Texts eine Rolle spielt, ob Bataille nun ein „verkappter Ex-Katholik“ war oder nicht?

Nun, die allermeisten Ex-Katholiken, die ich kenne, haben einen Hang zur Zerstörung jeglicher Ästhetik, und das auf eben besagter existenzieller Weise. Der einzige, den ich in dieser Hinsicht mag, ist Jean-Luc Godard, weil dieser eher Logik als Ästhetik zerstört und immer auch eine Art satirische Note hereinbringt. Ohne diese Note wäre er wahrscheinlich auch ungeniessbar.

Mir geht es darum, dass ich diese Charakterisierung von Sex als Schmutz, die besonders gern bei Ex- und Noch-Immer-Katholiken geradezu kultisch begangen wird, vollkommen ablehne, auch wenn es durch die Hintertür kommt.
 
Philosphie vs. Literatur

Wenn ich mich richtig an BATAILLE generell und an "Historie..." speziell erinnere, sind es doch aber eher philosophische Reflektionen über Sexualität denn lieterarische?
Ich will nicht bestreiten, dass Batailles Philosophie auch in Histoire de l’œil mitschwingt, insbesondere die Transgression der Erotik in den Tod, wie z.B. ja auch meine kurze Zusammenfassung der Passage über den gewaltsamen Tod des Priesters während des Koitus im PCB zeigte.

Aber trotzdem schätze ich Histoire de l’œil als einen der am wenigsten philosophisch aufgeladenen (literarischen) Texte Batailles. Im Vergleich z.B. zu Madame Edwarda ist Histoire de l’œil, finde ich, fast schon unphilosophisch zu nennen, denn in letztgenanntem Text, über den wir hier ja sprechen, geht es ein ums andere Mal explizit zur Sache, u.a. veranstalten der Erzähler und seine Freundin Simone eine Orgie mit anderen Jugendlichen im Haus der Eltern einer Freundin, was nicht ohne fatale Konsequenzen bleibt, wenn ich mich recht erinnere.

Von daher sehe ich kein prinzipielles Problem darin, diesen Text Batailles, d.h. Histoire de l’œil, als einen Maßstein für Erotisma zu bezeichnen.

Beste Grüße
–AJ
 
Last edited:
Wenn ich mich richtig an BATAILLE generell und an "Historie..." speziell erinnere, sind es doch aber eher philosophische Reflektionen über Sexualität denn lieterarische?

Sorry, Rosi, aber hätte ich nicht zufällig "Die 120 Tage von Sodom" gesehen und dabei insbesondere bei den oh so philosophisch wirkenden Szenen regelrecht abgekotzt - ich würde das sicherlich interessant finden.

Aber ich hab so meine Probleme mit Existenzialismus, der sich mit Surrealismus und Philosophie selbst rechtfertigt. Ich akzeptiere, dass das gewisse Leute anmacht. Aber bei mir fehlt da einfach der Background, um das genüsslich zu konsumieren.
 
@Auden

Jetzt weiß ich, wo ich kürzlich über BATAILLE gestolpert bin: Bei der Beschäftigung mit JAQUES LACAN, "Erpans" Spezi.

Und sorry, ich halte von diesem ganzen überspannten surrealistischen Zeugs nicht sehr viel.
Surrealismus, Postmodernismus- Modeströmungen von Leuten, die zuviel Zeit hatten, und denen es zu langweilig war.
Das sind Leute, die KARL POPPER als "orakelnde Philosophen" bezeichnet hat.
Hinter dem bedeutsam klingenden Wortschwall nicht viel dahinter.

Und immer diese Morbidität: Sex als Grenzüberschreitung, etc...

Und "Die Geschichte des Auges" von BATAILLE als literarischer Text? Gar als erotischer Text?
In meinen Augen ist es ehr ne philosophische Abhandlung in essayistischer Form, aber keine Literatur im engeren Sinne, und ich glaube, so hat das auch "PT" gemeint, wenn er sagt, das ist für ihn keine Literatur.

"Das sterbende Tier" von PHILIP ROTH ist ein literarischer Text, der sich mit Sexualität beschäftigt.
Wenn man diese Definition nimmt ("Literatur hat oft auch Sex zum Thema") spart man sich die kategorien "Erotische/Pornografische Literatur."

"Die Blechtrommel" von GRASS ist für mich ein literarischer Text.

BÖLL, IRVING, MILLER, RUSHDIE, etc..sind Literaten.

BATAILLE ist ein Grenzfall und zählt für mich eher zur Philosophie/Soziologie/Anthropologie, denn zur Literatur.

Und BATAILLE als Maßstab für "Bumstexte" in Hobbyforen find ich ziemlich überspannt.

Ist nicht persönlich gemeint.

Aber das sind meines Erachtens Maßstäbe, die man an Hobbyschreiber nicht anlegen darf.
Tut man es dennoch, wird man in Foren wie LIT automatisch enttäuscht.

Das meine ich, wenn ich öfters sage, man muss wissen,wo man sich befindet und welche Maßstäbe realistisch sind.

Maßstäbe a la BATAILLE sind es in Foren nicht.

Wenn man bei LIT schon einen 5-Punkte-Maßstab für Stories anlegen will, dann müsste man von "MAGNOLIAS" ausgehen.
Dann würden wohl immer noch nicht sehr viele LIT-Stories 5 Punkte bekommen, aber 3 bis 4 Punkte wären sehr wohl öfters drin.

"Auden", bezügl. BATAILLE und überzogene Maßstäbe: Wenn ich bei jedem guten Fußballer MARADONA als Maßstab anlege, dann bekäme sogar ein MICHAEL BALLACK nur das Etikett "Kreisklasse."
Und BALLACK ist sehr wohl viel besser als Kreisklasse.

lg
"rosi" (Johannes)
 
Last edited:
@pt

Sorry, Rosi, aber hätte ich nicht zufällig "Die 120 Tage von Sodom" gesehen und dabei insbesondere bei den oh so philosophisch wirkenden Szenen regelrecht abgekotzt - ich würde das sicherlich interessant finden.

Aber ich hab so meine Probleme mit Existenzialismus, der sich mit Surrealismus und Philosophie selbst rechtfertigt. Ich akzeptiere, dass das gewisse Leute anmacht. Aber bei mir fehlt da einfach der Background, um das genüsslich zu konsumieren.

Seh ich auch so.
Bei Sachen wie "Die 120 Tage..." und "Das obszöne Werk" (Bataille), etc...fehlt die Leichtigkeit des Seins.
Es fehlt der Entertainment-Faktor.

Da sind ein HENRY MILLER und auch ein BUKOWSKI und ein JOHN IRVING sehr viel unterhaltsamer, die dem Ficken in ihren Texten auch ne komische und ironisch-selbstironische Seite abgewinnen.

lg
"Rosi" (Johannes)
 
Lesen vs. Nicht-Lesen

Ich hab mir bisher lediglich überlegt, ob ich mir Bataille überhaupt antun sollte. Bisher spricht wenig dafür.
Ich bin mal so frei und versuche dir meine Einschätzung zu geben, ob du dir Bataille antun solltest oder nicht, okay?

Zunächst einmal hängt das davon ab, was du dir von einer möglichen Lektüre erhoffst. Willst du deine Vorurteile bestätigt sehen? Oder willst du vielmehr den Text für sich genießen? Wenn du den Text genießen willst, dann stellt sich natürlich die Frage, ob du das überhaupt könntest.

Ich finde bemerkenswert, was du über die Ex-Katholiken sagst. In der Tat neigt nämlich auch Bataille zur Zerstörung der Ästhetik. Und zwar in dem Sinne, dass Bataille versucht jedweden Stil zu zerstören, sozusagen in einem Nicht-Stil zu schreiben. Das hat philosophische Gründe, die ich an dieser Stelle nicht weiter ausführen werde. Und wenn du also eine derartige, ich nenne es mal so, anti-ästhetische Haltung nicht 'genießen' kannst, wie du andeutest, dann, schätze, wirst du auch Batailles Literatur nicht genießen können. Das ist meine Vermutung.

Des Weiteren ist, finde ich, Batailles Werk in Sachen Erotik ziemlich überschaubar. Ich selbst würde ohne große Zweifel eigentlich nur drei Texte von ihm als Erotisma bezeichnen: Histoire de l’œil, Madame Edwarda und Le Mort. Und die letzten beiden bewegen sich ähnlich den Texten von Nucleus hier auf Literotica eher am anderen Ende der Erotik. Allerdings habe ich auch noch nicht sein gesamtes literarische Œvre gelesen. Seine fast 100 Seiten lange Inzestgeschichte Ma Mère habe ich z.B. noch nicht gelesen. Aber was, denke ich, sich mit großer Sicherheit sagen lässt, ist: Großartige Wichsvorlagen bietet Bataille (leider?) nicht. Wenn es dir also um solche geht, dann solltest du dir Bataille nicht antun.

Ferner solltest du dir Bataille nicht antun, wenn du nicht bereit bist, dich mit seiner Philosophie auseinanderzusetzen. Denn bis auf Histoire de l’œil sind alle seine literarischen Texte, die ich kenne, ziemlich stark philosophisch aufgeladen, sodass man, schätze ich, ohne das nötige philosophische Interesse nur so mit 30-50 % vom dem etwas anzufangen weiß, was in seinen Texten steht. Bei Histoire de l’œil sieht das anders aus. Ich schätze, da weiß man mit einer gewissen literarischen Vorbildung auch ohne mit philosophischem Interesse an den Text heranzugehen mit so 80-90% was anzufangen. Aber Histoire de l’œil ist auch nur ein (literarischer) Text von Bataille, noch dazu relativ kurz mit 50 Seiten in der dt. Ausgabe.

Aber zum Schluss stelle ich einfach mal den ersten Absatz von Histoire de l’œil in der dt. Übersetzung von Marion Luckow ein, dann kannst du dir ja selbst ein Bild machen, ob dich der Text neugierig macht oder nicht:

Das Auge der Katze

Ich bin allein aufgewachsen, und so weit ich zurückdenken kann, hatte ich vor allem, was sexuell war, Angst. Ich war fast sechzehn, als ich Simone, ein Mädchen in meinem Alter, am Strand von X . . . kennenlernte. Da unsere Familien entfernt verwandt waren, wurden wir rasch vertraut. Wir kannten uns gerade drei Tage, als Simone und ich zum erstenmal allein bei ihr im Haus waren. Sie hatte eine schwarze Kittelschürze an und trug einen gestärkten Kragen. Langsam begann ich zu begreifen, daß sie meine Angst teilte, die an jenem Tag um so heftiger war, als sie unter ihrer Schürze nackt zu sein schien.



Zunächst einmal will ich wissen, warum nur existenzialistische Künstler bei besonders kritischen Geistern in den Genuss einer herausragenden Wertung kommen. [...] "Herausragend" bedeutet oft "schwer verdaulich, schwer zugänglich, mit fragwürdiger Dramatik". Meistens sind diese Sachen gar nicht soviel besser als normale Sachen, nur intellektueller verpackt, so dass die Diskussion um diese Werke oftmals Teil der Kunst ist.
Zunächst einmal ist mir nicht ganz klar, was du mit „existenzialistische Künstler“ hier meinst. Was macht diese aus? Was macht sie zu existenzialistischen Künstlern?

Ferner jedoch mag es sein, dass „herausragend“ oftmals einher geht mit „schwer verdaulich, schwer zugänglich, mit fragwürdiger Dramatik“ – zumindest für dich angesichts der Aussagen jener Kritiker. Ich glaube kaum, dass jene Kritiker, die du ja im Dunkeln lässt, einen Kriterienkatalog führen, in dem steht, das Werk so und so dann und nur dann das Prädikat „herausragend“ verliehen bekommt, wenn es schwer verdaulich, schwer zugänglich und mit fragwürdiger Dramatik daherkomme. Aber vielleicht doch, ich weiß ja nicht, auf welche Kritiker du anspielst?

Dass aber intellektuelle Geister, ich nehme mal an, dass jene „kritischen Geister“, die du nennst, auch als intellektuelle Geister durchgingen, dass diese also auch besonders auf Inhalte ansprechen, die den Intellekt ansprechen – sei es nun in Musik, Film, Kunst oder Literatur –, das, denke ich, dürfte wenig überraschend sein, oder? Ich meine wer keinen Wert auf den Intellekt legt, der wird auch keinen Wert in Inhalten finden, die (primär) den Intellekt ansprechen, und vice versa. Und Literatur spricht ja nun einmal von Natur aus (primär) den Intellekt an, denn ohne komplexe kognitive Verarbeitungsprozesse wären wir gar nicht in der Lage, Texte zu lesen und Bedeutungen und vielleicht sogar Sinn in ihnen zu erkennen. Literatur ist von sich aus eine ziemlich intellektuelle Angelegenheit, finde ich, so gesehen.

Mir geht es darum, dass ich diese Charakterisierung von Sex als Schmutz, die besonders gern bei Ex- und Noch-Immer-Katholiken geradezu kultisch begangen wird, vollkommen ablehne, auch wenn es durch die Hintertür kommt.
Um nochmals zu Bataille zu kommen: Ich würde zwar nicht sagen, dass sich seine Darstellung von Sex auf die Gleichung ‚Sex = Schmutz‘ verkürzen lässt, aber ich würde sagen, dass seine Darstellungen von Sex nicht dem alltäglichen oder konventionellen Bild des harmlosen Blümchensex oder Beischlafs sich erkennender Ehepartner entspricht, nein, das ganz sicher nicht. Erotik ist bei Bataille immer abwegig, und so ist es auch der Sex. Wie gesagt, es sei an den während des Koitus strangulierten Priester erinnert, den ich bereits anführte: Das ist ganz gewiss kein ‚gewöhnlicher‘ Sex, eher schon ‚abwegig‘, aber ist das auch schmutzig? Schmutzig klingt in meinen Ohren so moralisch. Und ich bin nicht sicher, ob Bataille – immerhin ein Verteidiger Nietzsches – sich als Moralist gebärden wollte. Aber es mag wiederum sein, dass bestimmte Leser die beschriebenen Akte als ‚schmutzig‘ empfinden, ja, das mag sein. Aber das heißt ja noch nicht, dass die Akte selbst schmutzig sind, oder?

Beste Grüße
–AJ
 
Last edited:
@Modernisten, Postmodernisten, Strukturalisten, Dekonstruktivisten, etc...

Einen hab ich noch vergessen in der illustren Reihe moderner "Tiefdenker:" MICHEL FOUCAULT.
Dessen Werk hat der deutsche Historiker HANS ULRICH WEHLER auseinadergenommen wie ne kaputte Uhr.
Aber es wäre auch ein ROLAND BARTHES zu nennen.
Zu diesem ganzen illustren Kreis gehören auch Leute wie LACAN, DERRIDA und BATAILLE.
Um nur einige zu nennen.

Das Ganze mag ne interessante geistige Übung sein , wenn man ein bisserl Zeit übrig hat ("Transgression", Sex als Schmutz und Kotze, etc...)- Mit dem Leben und der Realität hat es nicht viel zu tun.

Und es ist in meinen Augen Philosophie/Anthropologie, die in essayistischer Form präsentiert wird, aber keine Literatur.
BATAILLE ist kein "Storyteller."

lg
"rosi" (Johannes)
 
Orakel

Das sind Leute, die KARL POPPER als "orakelnde Philosophen" bezeichnet hat. Hinter dem bedeutsam klingenden Wortschwall nicht viel dahinter.
Das mag für die Poststrukturalisten gelten, wie z.B. Derrida, und Bataille war auch von Hegel, dem Urvater aller orakelnden Philosophen beeinflusst, aber trotzdem war Bataille noch nicht in der Post-Moderne angekommen, die ja den Rationalismus gewissermaßen desavouierte. Außerdem hat, wenn man sich mit Bataille beschäftigt, er sich als einer der wenigen Philosophen der Neuzeit überhaupt wieder eingehend mit dem Erotismus beschäftigt. Für viele andere ‚Intellektuelle‘ spielte der ja überhaupt keine Rolle. Insofern, schätzte ich, ist ein pauschales Verurteilen oder Abtun Batailles nicht angebracht bis vermessen.

BATAILLE ist ein Grenzfall und zählt für mich eher zur Philosophie/Soziologie/Anthropologie, denn zur Literatur.
Das kannst du ja gerne so sehen, aber das hilft, schätze ich, unserem Brain auch nicht weiter in der Entscheidung, ob er sich Bataille antun sollte oder nicht. Ich finde jedenfalls, dass bei Bataille relativ problemlos zwischen seiner fiktionalen und nicht-fiktionalen Literatur unterschieden werden kann. Da stellen sich, finde ich, kaum Fragen. Was ich aber keinesfalls abstreiten will, ist, dass auch seine fiktionale Literatur einen philosophischen Einschlag hat, sicher. Aber damit ist er ja nicht allein in der Literaturgeschichte, oder?

Und BATAILLE als Maßstab für "Bumstexte" in Hobbyforen find ich ziemlich überspannt.
Gut, das hast du ja mittlerweile deutlich gemacht.
Aber nach wie vor sehe ich keinen Grund, der dagegen spricht z.B. ein literarisches Werk Batailles wie Histoire de l’œil als Maßstein zu nehmen, sofern man damit Texte der grundsätzlich selben Art vergleicht. Denn die Zugehörigkeit zum selben Genre sagt ja noch nichts aus über die letztliche Qualität der Texte. Das ist z.B. beim Film nicht anders, wo sich gelungene und weniger gelungene Horrorfilme unterscheiden lassen. Und was spricht dagegen, diese Unterscheidung zu führen, indem neue Filme auch an den Qualitäten des gelungensten bekannten Films zu messen sind?

Und meine Meinung zur grundsätzlichen Vergleichbarkeit drückt sich ja unzweifelhaft in dem von mir geprägten Begriff der Erotisma aus. Wobei ich allerdings insbesondere Henry Millers Werke – bis auf Opus Pistorum – nicht zu den Erotisma zählen würde. Warum? Siehe meine Definition der Begrifflichkeiten.

Aber das sind meines Erachtens Maßstäbe, die man an Hobbyschreiber nicht anlegen darf. Tut man es dennoch, wird man in Foren wie LIT automatisch enttäuscht.
Ich will nicht abstreiten, dass diese Maßstäbe selten erfüllt werden. Aber das ist ja auch der Sinn und Zweck der Maxime von dr_mabeuse und mir: Die Spreu soll vom Weizen getrennt werden und nicht einfach so viel wie möglich beglückwünscht werden, um sich ‚gut‘ zu fühlen oder möglichst wenig 'enttäuscht' zu werden.

Außerdem gibt es, was du verschweigst, insbesondere wenn man jener Maxime folgt, auch immer wieder erstaunliche Überraschungen. Und über die freut man sich dann viel mehr, als wenn man seine Ansprüche künstlich verbiegt und unkritisch jede schlampige Wichsvorlage durchwinkt, die ohne Kopfschmerzen zu lesen ist.

Beste Grüße
–AJ
 
Last edited:
@Auden (Zu Posting 14)

Grundsätzliche Zustimmung.

BATAILLE war ein Grenzgänger- was absolut positiv gemeint ist- und lässt sich nicht so einfach verorten in Richtung "Poststrukturalismus" oder sonst ne Richtung.
Korrekt, er war einer der Wenigen, der in seinem Werk Erotik zum Thema gemacht hat.
Und ebenfalls korrekt: Es lässt sich bei ihm wohl gut zwischen seinen eher philosophisch-essayistischen Arbeiten ("Geschichte des Auges") und dem literarischen Werk unterscheiden ("Das Blau des Himmels").

Aber wie bereits gesagt: Es wird einige Tage dauern, bis ich mich bezügl. BATAILLE wieder etwas kundiger gemacht habe.
Ich hab nen Kumpel angezapft, der in dieser Hinsicht bewandert ist.
Mal schauen, was der mir zu sagen und zu empfehlen hat.

Und ebenfalls richtig: Trotz der meist durchschnittlichen Texte bei LIT gibt es gelegentlich immer mal unerwartete Perlen, über die man sich dann natürlich mit Recht freuen darf.

@Erotismo
Ich kann mich erinnern, dass du diesen Begriff in einem Posting mal genauer definiert hast.
Ich glaube, es war bei der Diskussion über "Figging Cat?"
Ich denke, ich weiß auch noch so ungefähr, was du damit meinst.
Aber eben nur ungefähr.
Und bevor ich jetzt ins Blaue fabuliere über deinen Begriff "Erotismo" und dich falsch zitiere: Könntest du hier vielleicht noch einmal eine kurze Definition dieses Begriffes posten?

lg
"Rosi" (Johannes)
 
Zunächst einmal hängt das davon ab, was du dir von einer möglichen Lektüre erhoffst. Willst du deine Vorurteile bestätigt sehen? Oder willst du vielmehr den Text für sich genießen? Wenn du den Text genießen willst, dann stellt sich natürlich die Frage, ob du das überhaupt könntest.

Ich finde bemerkenswert, was du über die Ex-Katholiken sagst. In der Tat neigt nämlich auch Bataille zur Zerstörung der Ästhetik. Und zwar in dem Sinne, dass Bataille versucht jedweden Stil zu zerstören, sozusagen in einem Nicht-Stil zu schreiben. Das hat philosophische Gründe, die ich an dieser Stelle nicht weiter ausführen werde. Und wenn du also eine derartige, ich nenne es mal so, anti-ästhetische Haltung nicht 'genießen' kannst, wie du andeutest, dann, schätze, wirst du auch Batailles Literatur nicht genießen können. Das ist meine Vermutung.

Nun gut, damit hast du schon mal ein recht wichtiges Vorurteil von mir bestätigt. Ich bin dann allerdings so ein Mensch, der sich nicht einfach mit simplen Bestätigungen seiner Vorurteile zufrieden gibt, wenn er nicht gleichzeitig mit jemanden reden kann, der das gut findet.

Für mich wäre jetzt also die Frage: was daran geniesst du? Wenn es der philosophische Background ist, OK, aber wenn er so berührend ist, wüsste ich schon gern mehr darüber. Manche Dinge kann man erst näher verstehen, wenn man den Background kennt.



Aber was, denke ich, sich mit großer Sicherheit sagen lässt, ist: Großartige Wichsvorlagen bietet Bataille (leider?) nicht. Wenn es dir also um solche geht, dann solltest du dir Bataille nicht antun.

Nunja, Wichsvorlage ist ein ebenso abwertender wie weit gefasster Begriff. Du kennst meine Definition von Erotik und Pornografie: Erotik arbeitet mit der sexuellen Verheissung, Pornografie mit der sexuellen Erfüllung. Es ist nicht unbedingt eine allgemeingültige Definition, nicht jdere teilt sie, aber ich persönlich halte mich schon dran, und für mich ist halt die Frage: wieviel Verheissung oder Erfüllung steckt im Werk von Bataille?

Um das mal näher zu erläutern (ich hatte das mal in meinem "Sex-Kult" kurz angerissen): Es gibt die Angewohnheit von manchen - wie ich sie gern nenne: existenzialistischen - Künstlern, den Akt der Erfüllung nicht als das Ende der Verheissung zu begreifen, sondern die bei diesen Akt auftretenden Verheissungen wahr werden zu lassen, was dann zu den ganzen Auswüchsen wie Mord auf Wunsch, Erwürgen, Kannibalismus, Nekrophilie usw. führt, zu dem ich gar keinen Zugang haben möchte, weil es jenseits der guten-Geschmacks-Grenze liegt. Ich kann derartige Werke dann auch nicht als grosse Kunst begreifen, denn auch wenn ich die Intension begreifen kann, begehen diese Künstler für mich den Fehler der selbstzerstörerischen Grenzüberschreitung, dessen einziger Sinn nur die Verdammung der Sexualität als Selbstzerstörung sein kann.

Und tut mir leid, wenn ich das jetzt mal so krass sage: die sinnvollste gewollte sexuelle genossene Selbstzerstörung lautet immer noch : Heroin nehmen, oder Crack. Und da blockt bei mir alles ab.

Nun gibt es aber auch solche Werke, die lediglich zum Ende diesen Fehler begehen, und sich ansonsten über weite Strecken genussvoll lesen lassen. Solchen Werken kann man das extremistische Ende verzeihen, erst recht, wenn man förmlich dort hineingeflossen ist.

Wäre für mich die Frage, nach dall dem, was ich bisher dazu gelesen habe: Wo siehst du bei ihm, ganz explizit, die Erotik?

Aber zum Schluss stelle ich einfach mal den ersten Absatz von Histoire de l’œil in der dt. Übersetzung von Marion Luckow ein, dann kannst du dir ja selbst ein Bild machen, ob dich der Text neugierig macht oder nicht:

Das Auge der Katze

Ich bin allein aufgewachsen, und so weit ich zurückdenken kann, hatte ich vor allem, was sexuell war, Angst. Ich war fast sechzehn, als ich Simone, ein Mädchen in meinem Alter, am Strand von X . . . kennenlernte. Da unsere Familien entfernt verwandt waren, wurden wir rasch vertraut. Wir kannten uns gerade drei Tage, als Simone und ich zum erstenmal allein bei ihr im Haus waren. Sie hatte eine schwarze Kittelschürze an und trug einen gestärkten Kragen. Langsam begann ich zu begreifen, daß sie meine Angst teilte, die an jenem Tag um so heftiger war, als sie unter ihrer Schürze nackt zu sein schien.

Hmmm...das klingt auf den ersten Blick nach Verheissung. Also Erotik.

Hmmm..vielleicht sollte man sich Bataille mal wenigstens antun, um wenigstens mitreden zu können ;) Mal sehn...


Zunächst einmal ist mir nicht ganz klar, was du mit „existenzialistische Künstler“ hier meinst. Was macht diese aus? Was macht sie zu existenzialistischen Künstlern?

Also ich war ziemlich müde, als ich das schrieb, deswegen hab ich auch den Fehler gemacht, einen Satz mit "nur" zu machen, was man eigentlich nie tun sollte.

Existenzialistische Künstler sind solche, bei deren Werken es immer um die blanke Existenz geht, die keine einfache Liebesgeschichte erzählen können, ohne dass die in Mord und Totschlag endet, die sich auf das belastende einer Beziehung konzentrieren und das Geniesserische, das Zusammengehende, also fast alles positive, sofort zerstören, sobald es sich mal kurz gezeigt hat. Das ist nicht nur auf Literatur beschränkt. Aber dazu komm ich noch.


Ferner jedoch mag es sein, dass „herausragend“ oftmals einher geht mit „schwer verdaulich, schwer zugänglich, mit fragwürdiger Dramatik“ – zumindest für dich angesichts der Aussagen jener Kritiker. Ich glaube kaum, dass jene Kritiker, die du ja im Dunkeln lässt, einen Kriterienkatalog führen, in dem steht, das Werk so und so dann und nur dann das Prädikat „herausragend“ verliehen bekommt, wenn es schwer verdaulich, schwer zugänglich und mit fragwürdiger Dramatik daherkomme. Aber vielleicht doch, ich weiß ja nicht, auf welche Kritiker du anspielst?

Also das Berliner Stadtmagazin "tip" hat immer zu Ende des Jahres die Top Ten von so knapp 20 "professionelle" Kritikern aus Radio oder Print-Medien zu einer jeweiligen Sparte veröffentlicht. Mir ist das mal besonders bei Musik aufgefallen: 2/3 der Musikkritiker hatten 1990 zum Beispiel Public Enemys "Fear of a Black Planet" in ihrer Liste. Ich hab mir die Platte damals geholt - und noch am gleichen Tag wieder verkauft. Ich hätte sonst Albträume bekommen mit diesser Platte in meiner Wohnung. Zugegeben, die Platte war, rein intellektuell betrachtet, herausragend, ich habe selten soviel Hass, Arroganz, Zerstörungswut und strassenkämpferischen Kriegswillen herausgehört wie auf dieser Platte, und ausgerechnet das zweitletzte Stück, ein nur 50-sekündiges, ganz leises Stück (Final Count of the Collision Between Us and the Damned ) stach gerade durch die Ruhe in diesem ganzen Terror so brutal hervor, dass man als friedlicher deutscher Hörer davon nur Angst bekommen konnte.

Witzigerweise war damals unter all den Kritikern auch Ronald Galenza von DT64, nur dass der eben weniger Kritiker und mehr DJ war. Dessen Liste unterschied sich auch grundklegend von denen seiner Kritikerkollegen, und er war der einzige, der Public Enemy (wenn auch nur auf dem Konzert) enttäuschend fand. Dessen Liste enthielt Platten, von denen ich keine einzige schlecht fand, ich würde sogar behaupten, dass das "Cactus Album" von 3rd Bass genialer, tiefgründiger und intellektueller als "Fear of a Black Planet" war.

Zugegeben, das ist jetzt nur der Bereich Musik. Ich bin seitdem aber etwas vorsichtig mit dem von Kritikern vergebenen Etikett "Herausragend", denn selbst wenn sie herausragend sind, ist das nicht unbedingt ein - wenn auch subjektives - Qualitätskriterium.


Dass aber intellektuelle Geister, ich nehme mal an, dass jene „kritischen Geister“, die du nennst, auch als intellektuelle Geister durchgingen, dass diese also auch besonders auf Inhalte ansprechen, die den Intellekt ansprechen – sei es nun in Musik, Film, Kunst oder Literatur –, das, denke ich, dürfte wenig überraschend sein, oder? Ich meine wer keinen Wert auf den Intellekt legt, der wird auch keinen Wert in Inhalten finden, die (primär) den Intellekt ansprechen, und vice versa. Und Literatur spricht ja nun einmal von Natur aus (primär) den Intellekt an, denn ohne komplexe kognitive Verarbeitungsprozesse wären wir gar nicht in der Lage, Texte zu lesen und Bedeutungen und vielleicht sogar Sinn in ihnen zu erkennen. Literatur ist von sich aus eine ziemlich intellektuelle Angelegenheit, finde ich, so gesehen.

Hmmm...ich weiss nicht, ob man das so pauschalisieren kann. Ich selbst hab immer Wert auf Intellekt gelegt, aber genausogut auch auf Gefühl. Sicherlich, in der Basis mag Literatur den Intellekt so ansprechen wie Musik das Gefühl, aber irgendwann verwischen die Grenzen, und man beginnt, die strukturellen Gegebenheiten eines Musikstücks oder seine Lyrik als intellektuell herausfordernd zu sehen. Gleichzeitig liest man ein Buch, und ausser Gefühl wird da gar nichts weiter angesprochen.

Aber ich find den Punkt schon recht interessant, weil ich Literatur unter dieser Prämisse noch gar nicht gesehen habe. Damit hab ich mal wieder was zum Nachdenken. Mal sehn, was dabei herauskommt.


Um nochmals zu Bataille zu kommen: Ich würde zwar nicht sagen, dass sich seine Darstellung von Sex auf die Gleichung ‚Sex = Schmutz‘ verkürzen lässt, aber ich würde sagen, dass seine Darstellungen von Sex nicht dem alltäglichen oder konventionellen Bild des harmlosen Blümchensex oder Beischlafs sich erkennender Ehepartner entspricht, nein, das ganz sicher nicht. Erotik ist bei Bataille immer abwegig, und so ist es auch der Sex. Wie gesagt, es sei an den während des Koitus strangulierten Priester erinnert, den ich bereits anführte: Das ist ganz gewiss kein ‚gewöhnlicher‘ Sex, eher schon ‚abwegig‘, aber ist das auch schmutzig? Schmutzig klingt in meinen Ohren so moralisch. Und ich bin nicht sicher, ob Bataille – immerhin ein Verteidiger Nietzsches – sich als Moralist gebärden wollte. Aber es mag wiederum sein, dass bestimmte Leser die beschriebenen Akte als ‚schmutzig‘ empfinden, ja, das mag sein. Aber das heißt ja noch nicht, dass die Akte selbst schmutzig sind, oder?

Schmutzig ist vielleicht das falsche Wort dafür. Deswegen sprach ich mal von "Fantasien eines Ex-Katholiken". Gemeint ist damit, dass solche Fantasien frei von jeglichen moralischen Anspruch sind, und zwar so sehr, dass dabei die Ästhetik als quasi moralischer Rahmen ebenfalls mit abgelehnt oder einfach so mitzerstört wird. Für einen Menschen, der zu lange unter der rigiden Sexualmoral der Katholiken gelitten hat, ist das natürlich ein Befreiungsschlag. Für jemanden, der mit dieser Moral nie konfrontiert und auch nie diesem ganzen Gewissenskomplex ausgesetzt war, ist das aber nur blanke Anti-Ästhetik, die er quasi "erleiden" muss.

Daran muss ich halt denken, wenn du bei Batailles Erotik von "abwegig" sprichst. Ich denk dann immer: als Katholik wurde ihnen das "abwegig" eingeimpft, als Ex-Katholik haben sie sich dazu bekannt, den abwegigen Weg direkt und bewusst zu gehen. Was dann passiert, ist in meinen Augen keine Grenzverschiebung, sondern eher eine Entgrenzung. Und die beisst sich irgendwann mit meiner eigenen Grenze, denn die "besonders guten" Entgrenzer greifen natürlich zum Maximalstprinzip, und ds überschreitet nicht nur meine Grenze, sondern nach Möglichkeit jede, die sich gerade anbietet. Bis die Gegenreaktion kommt, auf die man sich dann wieder was einbildet. Ein Grossteil von Schlingensiefs Wirken funktioniert ausschliesslich nach diesem Prinzip.
 
@PT

Hi, "Brain",

interessantes Posting von dir (P 16)
Ich geh bei Gelegenheit darauf ein.

- Musik
Ich denk, ich weiß genau, was du meinst.
Ich führe diese Popmusik-Diskussionen schon seit Mitte/Ende der 70iger.

Ich bin in diesem Bereich recht einfach gestrickt.
Ich mag "Easy Listening" (BURT BACCHARACH) und Entertainment.
Die 2 grössten Pop-Barden des 20.Jhd. sind für mich
(1) NEIL DIAMOND
und
(2) BARRY MANILOW

Und diese beide inzw. schon etwas betagteren Herren füllen immer noch weltweit die Hallen.
Und warum?
Weil sie einfach gut sind!
Wer 7 Jahre lang jeden Abend das "Hilton" in Las Vegas füllt -wie BARRY MANILOW zwischen 2003 und 2010-, der muss einfach gut sein.

(Gutes) Entertainment ist schwer.
Und Leute, die über NEIL DIAMOND und BARRY MANILOW die Nase rümpfen und Avantgarde-Rock propagieren sind für mich Pseudointellektuelle.

@Sex
Sex ist eine vergnügliche Tätigkeit. Notwendig, wie Essen, Trinken und Schlafen.
Und bei Menschen ist sie gewöhnlich mit Zuneigung verknüpft.
Sie ist ein Ausdruck von Zuneigung zu einer ganz bestimmten Person.

Leute wie BATAILLE machen meines Erachtens aus einer vergnüglichen und recht einfachen Tätigkeit eine zu komplizierte Angelegenheit.
Das ist in grossen Teilen Gehirnonanie.

Wenn schon Existentialismus, dann ALBERT CAMUS.
Der bringt in "Der Fremde" diese Thematik meines Erachtens bis heute unübertroffen rüber- Und er brauchte dazu keine einzige Kopulationsszene.

lg
"Rosi" (Johannes)
 
@Ergänzung zu Posting 17

Damit will ich nicht sagen, dass die Beschäftigung mit Sachen wie BATAILLE und Konsorten nicht interessant sein kann.
Intellektuell kann das durchaus anregend sein.
Aber es ist kopflastig. Es ist schwermütig. Es ist bemüht tiefsinnig. Es ist bemüht bedeutungsschwanger.
Und es ist Philosophie, und nicht Literatur.

Diese Leute können einfach nicht das, was du gesagt hast, "Brain Tom:" Sie können einfach keine schöne Lovestory erzählen.

Ein Nietzsche und Konsorten haben in Prosatexten nix verloren.
Zudem sind Nietzsches Schlachten schon lange geschlagen.
Würde Nietzsche heute schreiben, würde ihn kaum einer lesen, und das läge nicht nur an seinen Themen, sondern an seinem Stil.
Der bleibt für die damalige Zeit natürlich brilliant, wäre aber heute nicht mehr zeitgemäß.

Ich glaube, dass solche Dinge (Nietzsche, Bataille, Existentialismus, etc...) nur in einem bestimmten Alter reizvoll sind.
Da glaubt man, das Rad neu erfinden zu müssen, und betrachtet jegliche Moral als spießig und als Einschränkung.
Und Sexualität als subversives Mittel, um gegen alles und jeden zu demonstrieren.
Das legt sich, wenn man älter und realistischer wird.

Mich erinnern BATAILLE und Konsorten in Stil, Wortwahl und Inhalt stark an die "Frankfurter Schule" und die "Kritische Theorie" (besonders HERBERT MARCUSE)
Da wurden Dinge miteinander verquickt (Marxsche Dialektik und Freudsche Psychoanalyse), die nicht wirklich zusammen passten.
Klang aber alles ziemlich schlau.
Es klang eben nur so, und war nicht wirklich schlau.

MARCUSEs "Eindimensionaler Mensch" war ein Kultbuch der "68iger.
Heute kräht zu Recht kein Hahn mehr danach.
Ebenso nach seinem zweiten Hauptwerk "Triebstruktur und Gesellschaft."
MARCUSE sah das ganze soziale Problem in einer angeblichen "Repressiven Sexualmoral der bürgerlichen Gesellschaft."
Die vordergründige Lösung, die er anbot: "Fick dich frei."
Das haben die "68iger" ja probiert.
Der Weisheit letzter Schluß war es nicht, wie inzwischen allgemein bekannt sein dürfte.

lg
"Rosi" (Johannes)
 
Applaus

Randbemerkung:

Aus meiner Sicht wohl einer der interessantesten Threads hier bei Literotica.

Ohne mich direkt inhaltlich an der 'Podiumsdiskussion' beteiligen zu wollen - denn für mich wesentliches ist bereits erörtert worden - möchte ich zumindest mitteilen, dass ich mit höchstem Interesse den Dialogen aller Beteiligten folge.

Auch will ich mich nicht auf eine Seite schlagen. Dennoch nehme ich mir heraus, dem Posting #12 von "Auden James" größten Beifall zu zollen. Da spricht er mir mit seinen Äußerungen aus der "Psyche"; insbesondere mit dem einleitenden Absatz zu "Das Auge der Katze" ;-).



Danke an alle für die aufschlussreiche Dikussion, in der ihr eure Sichtweise darlegt.

Ich bin übrigens ein "Ex-Katholik" und zähle mich heute zu den Agnostikern (lach).

Liebe Grüße

Andy43
 
@Andy (zu deinem P 19)

Hi,
ich unterschreibe deine Aussagen, und finde vor allem den Auszug, den "Auden" in P 12 gepostet hat ("Das Auge der Katze") bemerkenswert.
In diesem kurzen Auszug wird viel mehr erzählt als da steht.
Er gibt einen tollen Einblick in das Fühlen und Denken des Schreibers; in diesem Fall einen Einblick in BATAILLEs Fühlen und Denken.

Zudem finde ich es durchaus inspirierend, dass man bei Diskussionen mit "Auden" immer auf unvorhergesehene Themen kommt, wie in diesem Fall BATAILLE.

Ohne die Diskussion über "Pornografie/Erotik" wieder aufzunehmen:
"Auden" betrachtet- wenn ich ihn richtig verstanden habe?- den Begriff "Pornografie" per se als wertend.
Das seh ich nicht so.
Ich versteh ihn deskriptiv.
Unter "Pornografie" wird landläufig das Schildern und Zeigen (Pornofilme) expliziter sexueller Handlungen verstanden. So verstehe und verwende ich den Begriff "Pornografie."
Das ist per se nicht moralisch verwerflich- Ein gewisses Wertesystem macht es leider zu etwas Verwerflichem.
Aber ein Begriff wie "schmutzig" im Zusammenhang mit Sexualität ist eindeutig moralisch, und er ist eindeutig moralisch abwertend.
Und dagegen anzuschreiben ist richtig, legitim und notwendig!

Es dauert ne Weile, bis man im Netz gute deutschsprachige Artikel zu BATAILLE findet.
War der Mann in Deutschland jemals populär?
Wurde BATAILLE in Deutschland jemals ausführlich gewürdigt und diskutiert?

Die Diskussion hier erinnert mich an einen anderen Thread. Das Thema war da "Zensur", und eröffnet hat den Thread "Erpan."
Da unterhielten wir uns u.a. über "Die Geschichte der O",die absurderweise heute in Deutschland immer noch auf dem Index steht (Seit 1978!).
"Erpan" sagte, der Grund wäre seiner Meinung nach, dass das dargestellte Frauenbild (Die Frau, die sich freiwillig aus Lust und Liebe unterwirft) der herkömmlichen Moral widersprechen würde.
Da teile ich "Erpans" Meinung.
Literarisch gibt es keinen Grund, diesen hervorragenden Text als "pornografisch" einzustufen und zu indizieren.

"Auden" sagte mal bei einer Diskussion: "Je unbefangener eine Gesellschaft mit Pornografie umgeht, desto freier und liberaler ist sie."
Zuerst dachte ich: "Quatsch!"
Aber inzwischen gebe ich "Auden" Recht.

Viele Skandale sind doch hausgemacht und lächerlich.
Man bringe Sex auf etwas ungewöhnliche Weise in nen Text ein, und man hat den Skandal! Und damit auch den Erfolg, der oft unberechtigt ist.
Das jüngste Beispiel ist wohl die unselige CHARLOTTE ROCHE.
Sorry, dass ich das jetzt so direkt formuliere, aber "Feuchtgebiete" ist einfach grosse Scheisse!
Das unnötigste Buch, das je in Deutschland verlegt wurde.
Wobei man Madame ROCHE nicht den geringsten Vorwurf machen kann.
Ich ärgere mich, dass ich nicht auf die Idee kam, so nen Mist zu schreiben.
Wahrscheinlich bin ich intellektuell zu anspruchsvoll??? (Lach)
Aber bei nem Erfolg wie "Feuchtgebiete" kann man sich langsam wirklich fragen: "Sind wir in Deutschland schon einig "Dieter-Bohlen-Land???" "
Allles VERONA FELDBUSCH, oder was???
"Hier werden sie geholfen." (Verona Feldbusch, Werbung für die Auskunft der "Telekom")

Vielleicht könnten Dinge wie das Werk von BATAILLE dazu beitragen, dass über Sexualität in diesem Land freier und offener diskutiert wird? Dass der Umgang damit unbefangener und selbstverständlicher wird?

Zu "Audens" Punkt: Literatur und Lesen als intellektueller Akt:
Ich glaube, diese Trennung aus Emotion und Intellekt ist künstlich, und der menschlichen Sprache geschuldet.
In Wahrheit wird beim Lesen doch beides angesprochen.
Es kommt allerdigs darauf an, was man liest.
Lese ich einen philosophischen und/oder historischen/soziologischen Text, habe ich ne ganz andere Erwartungshaltung als an einen Roman und eine Erzählung.
Philosophie/Soziologie sind intellektuelle Disziplinen.
Bei Literatur geht es mir um Unterhaltung- Und darunter verstehe ich sowohl THOMAS MANN wie auch bsp. eine EVA HELLER.
Ich will ne interessante Geschichte, wo mich die Personen und die Handlung fesseln.
Deshalb spricht meines Erachtens Literatur eher die Emotion an, denn den Intellekt.
Bei Literatur kann durchaus auch Sex vorkommen- Wenn er in der Handlung Sinn macht!
Das ist meine ganz persönliche Meinung. Mein Maßstab und mein Geschmack in diesen Dingen.
Deshalb habe ich für mich nen Weg gefunden, die kontroversen Begriffe "Pornografie" und "Erotik" zu umgehen.
In einem gelungenen fiktiven Prosatext erzählen Menschen interessante Dinge über sich und ihr Leben.
Dabei kommt manchmal Sex vor (wie bsp. bei PHILIP ROTH), und manchmal eben nicht (wie bsp. bei PAUL AUSTER, in dessen Romanen Sex sehr wenig Raum einnimmt).

Selten gelingt eine Mischung aus gelungenen narrativen (= erzählerischen) Elementen und reflektiven essayistischen Passagen.
In der modernen zeitgenössischen Literatur fällt mir da nur der US-Autor SAUL BELLOW ein; vor allem sein Jahrhundertroman "HERZOG" (1963) (In Deutschland seit Jahren vergriffen, und glücklicherweise vor kurzem in einer Neuübersetzung wieder aufgelegt).
BELLOW war vor allem in den 60igern und 70iger Jahren ein Bestsellerautor, der bei Kritikern und Publikum gleichermaßen Anklang fand.
Inzwischen ist er vor allem in Deutschland leider vergessen.
Zu Unrecht.
Vielleicht ändert das die Neuauflage von "HERZOG?"
Wie gesagt, dieser Roman ist ein gutes Beispiel einer gelungenen Synthese von Prosa, essayistischer Reflektion und hinreissendem Humor.

Und das fehlt mir bei den Philosophen wie bsp. BATAILLE: Mir fehlt HUMOR!
HUMOR ist meiner Meinung nach mit das Wichtigste, wenn man gut über Sex schreiben will.

lg
"Rosi" (Johannes)
 
Last edited:
@PT

Hi, "Brain",

interessantes Posting von dir (P 16)
Ich geh bei Gelegenheit darauf ein.

- Musik
Ich denk, ich weiß genau, was du meinst.
Ich führe diese Popmusik-Diskussionen schon seit Mitte/Ende der 70iger.

Ich bin in diesem Bereich recht einfach gestrickt.
Ich mag "Easy Listening" (BURT BACCHARACH) und Entertainment.
Die 2 grössten Pop-Barden des 20.Jhd. sind für mich
(1) NEIL DIAMOND
und
(2) BARRY MANILOW

Und diese beide inzw. schon etwas betagteren Herren füllen immer noch weltweit die Hallen.
Und warum?
Weil sie einfach gut sind!
Wer 7 Jahre lang jeden Abend das "Hilton" in Las Vegas füllt -wie BARRY MANILOW zwischen 2003 und 2010-, der muss einfach gut sein.

(Gutes) Entertainment ist schwer.
Und Leute, die über NEIL DIAMOND und BARRY MANILOW die Nase rümpfen und Avantgarde-Rock propagieren sind für mich Pseudointellektuelle.

Du hast schon Recht, gutes Entertainment ist schwer, mir fällt jetzt auch keiner ein, der vom reinen Entertainment-Faktor her so kontinuierlich gearbeitet hat wie Barry MAnilow.

Ich selbst hab, bevor ich ins Teenie-Alter hineinkam, oft Barry White gehört, und finds wirklich schade, dass ich es zu Lebzeiten nie geschafft habe, ein Konzert von ihm zu besuchen. Für mich fällt er unter dem Begriff "Easy Listening", obwohl es natürlich Soul ist, aber von der reinen Funktion her ist es dasselbe.

Ich weiss nicht, ob Pink Floyd als Avantgarde galt, ich glaub, am Anfang schon, aber bei "The Wall"? Für mich ist das nämlich das beste Rock-Musikwerk des letzten Jahrhunderts, ich kenn einfach kein besseres, welches mich so mitgenommen hat und immer noch mitnehmen kann. Das ist natürlich ein Werk, welches man nicht so nebenbei hört, es verlangt schon die ganze aufmerksamkeit, aber ich finde, es lohnt sich.


Ich bin übrigens ein "Ex-Katholik" und zähle mich heute zu den Agnostikern (lach).
Steinigt ihn :D

Hmmm...ihr bringt mich noch dazu, nachzugucken, was ein Agnostiker ist, also was er so für Macken hat ;)
 
@pt

Du hast schon Recht, gutes Entertainment ist schwer, mir fällt jetzt auch keiner ein, der vom reinen Entertainment-Faktor her so kontinuierlich gearbeitet hat wie Barry MAnilow.

Ich selbst hab, bevor ich ins Teenie-Alter hineinkam, oft Barry White gehört, und finds wirklich schade, dass ich es zu Lebzeiten nie geschafft habe, ein Konzert von ihm zu besuchen. Für mich fällt er unter dem Begriff "Easy Listening", obwohl es natürlich Soul ist, aber von der reinen Funktion her ist es dasselbe.

Ich weiss nicht, ob Pink Floyd als Avantgarde galt, ich glaub, am Anfang schon, aber bei "The Wall"? Für mich ist das nämlich das beste Rock-Musikwerk des letzten Jahrhunderts, ich kenn einfach kein besseres, welches mich so mitgenommen hat und immer noch mitnehmen kann. Das ist natürlich ein Werk, welches man nicht so nebenbei hört, es verlangt schon die ganze aufmerksamkeit, aber ich finde, es lohnt sich.



Steinigt ihn :D

Hmmm...ihr bringt mich noch dazu, nachzugucken, was ein Agnostiker ist, also was er so für Macken hat ;)

Hi, "Brain",

ein "Agnostiker" hat keine Macke- Ein Agnostiker ist einer, der logisch und kritisch denken kann!
Aber schlag den Begriff selbst mal nach.
Ist was anderes als ein Atheist, obwohl die Begriffe natürlich auf ne gewisse Weise verwandt sind.

-Musik
Barry White ist für mich ein Soul-Klassiker.
Und mit ihm kann man heute immer noch die Ladies knacken, die damals noch gar nicht auf der Welt waren (Lach)

-Pink Floyd
Ich halte "The Wall" für herausragend. Sowohl das Album wie auch den Film, obwohl "Pink Floyd" und diese Richtung nie so mein Ding war.
"The Wall" ist aber ein typisches Beispiel für absurde Musik-Diskussionen.
Es gibt heute noch "Pink-Floyd-Hardliner", die "The Wall" für eine Konzession an den "Mainstream", und somit für Verrat halten.

Dasselbe erlebt man bei "Genesis."
Da war angeblich PHIL COLLINS der "Judas."
Viele unterteilen "Genesis" in "Genesis mit Peter Gabriel" (Gute "Genesis-Musik") und "Genesis ohne Peter Gabriel" (Schlechte "Genesis-Musik")
Ich halte diese Teilung für absoluten Quatsch!
"Genesis" hat in beiden Phasen sowohl herausragende wie auch grottenschlechte Sachen gemacht.

(Hatte das jetzt was mit BATAILLE zu tun??? Wohl eher nicht...) (Lach)
Macht aber nix.

lg
"Rosi" (Johannes)
 
@ Popping "Brain" Tom

Für mich wäre jetzt also die Frage: was daran geniesst du? Wenn es der philosophische Background ist, OK, aber wenn er so berührend ist, wüsste ich schon gern mehr darüber.
Ich denke, ja, der philosophische Inhalt, der auch in Batailles fiktionalen Texten steckt, wie z.B. in Histoire de l’œil, ist ein nicht unbedeutender Bestandteil des Genusses, den ich in Bataille finde. Er verstand es, die erotischen Obsessionen als zerebrale (perverse) Lust theoretisch auszudenken und literarisch zu erzählen. Aber das ist längst nicht alles.

Schließlich halte ich auch Batailles Sprache für herausragend. Er versucht nämlich nicht, das Sexuelle sprachlich zu sublimieren, wie es in der überkommenen „erotischen Literatur“ der Fall ist, sondern er versucht das Sexuelle zu entsublimieren, ihm seinen eigentlichen Platz im, wie er sagt, Sakralen zurückzugeben, als verlorengegangener zweiter Pol des Heiligen (von dem nur noch der andere Pol z.B. in den Ritualen der katholischen Kirche in der westlichen Welt erhalten ist). Das gelingt ihm nicht durchgängig, aber wo es ihm gelingt, da finden seine Passagen, finde ich, so gut wie keine mir bekannten (sprachlichen) Gegenstücke. Dieser Genuss Batailles Sprache meinerseits basiert auf der Prämisse, freilich, dass ich literarische Texte immer auch als sprachliche Kunstwerke verstehe. Die Wörter und Sätze sind das Material, dessen der Autor sich bedient, um seine Texte zu bilden. Von daher stellt die Sprache eines Texts ebenfalls einen nicht unbedeutenden Bestandteil meines literarischen Genießens dar. Neben weiteren nicht weniger bedeutsamen Bestandteilen...

Nunja, Wichsvorlage ist ein ebenso abwertender wie weit gefasster Begriff.
In diesem Fall war der Begriff von mir völlig wertneutral gemeint. Ich meinte damit ganz pragmatisch die Texte, die dazu taugen, dass der Leser zu ihrer Lektüre es sich mit einer gewissen Intensität selbst besorgen kann.

Freilich, rein mechanisch könnte man während der Lektüre eines jeden Texts masturbieren. Aber der Unterschied bei einer Wichsvorlage, so meinte ich das, besteht darin, dass die Selbstbefriedigung zu einer Wichsvorlage gerade nicht mechanisch erfolgt, sondern durch den Text unterstützt oder gesteigert wird. Eine Wichsvorlage in diesem von mir intendierten Sinne verstanden zeichnet sich also durch eine Qualität aus, die andere Texte, die nicht oder nicht gute Wichsvorlagen sind, nicht oder nicht hinreichend bieten.

Und damit komme ich nahtlos zu deinen nächsten Fragen:

wieviel Verheissung oder Erfüllung steckt im Werk von Bataille? [...] Wo siehst du bei ihm, ganz explizit, die Erotik?
Ich kann diese Fragen nicht für das Gesamtwerk beantworten, aber ich werde versuchen bzgl. Histoire de l’œil Antworten zu geben. Dieser Text ist nicht der erregendste Text, den ich kenne. In deinem Vokabular, glaube ich, bietet er relativ wenig „Erfüllung“. Obschon es zwar immer wieder explizit zur Sache geht, so wird dies nie derart in den Mittelpunkt gestellt, dass die Handlungen selbst zur Hauptsache werden und nach dem Höhepunkt gewissermaßen zu einem Ende finden. Was den erotischen Reiz von Histoire de l’œil ausmacht, finde ich, ist vielmehr und vor allem die unaufhebbare (erotische) Spannung von Tabu und Tabuverletzung. Der Text ist auch nicht eine Geschichte im herkömmlichen Sinne einer sich linear entwickelnden Erzählung mit Anfang, Mitte und Ende. Der Text gleicht vielmehr einem Aufeinanderfolgen verschiedener neuer erotischer Situationen und personaler Konstellationen im Hinblick auf Tabus und „verheißende“ Tabuverletzungen, die dann oftmals mehr oder minder extrem und explizit erfolgen, aber kein echtes Ende („Erfüllung“) kennen, sodass diese Folge schließlich abbricht, ohne dass Histoire de l’œil einen eigentlichen Schluss („Erfüllung“) hätte.

Und diese Transgression, wie Bataille es nennt, ist jedoch nicht als selbstzerstörerischer Akt zu sehen, sondern als selbstbefreiender Akt, der uns aus den eingrenzenden Zwängen der Massengesellschaft befreit und – zumindest für den Moment – uns so etwas wie ein Gefühl von Souveränität vermittelt, laut Bataille. Insofern, glaube ich, würde Bataille auf keinen Fall deiner Annahme zustimmen, dass der Transgression „einziger Sinn nur die Verdammung der Sexualität als Selbstzerstörung sein kann“ (übrigens schon wieder ein Satz mit „nur“ von dir!).

Mir ist das mal besonders bei Musik aufgefallen: 2/3 der Musikkritiker hatten 1990 zum Beispiel Public Enemys "Fear of a Black Planet" in ihrer Liste. [...] Dessen [Ronald Galenza] Liste enthielt Platten, von denen ich keine einzige schlecht fand, ich würde sogar behaupten, dass das "Cactus Album" von 3rd Bass genialer, tiefgründiger und intellektueller als "Fear of a Black Planet" war.
Also ich möchte dir nicht zu nahe treten, aber wenn du mich fragst, dann waren 3rd Bass im Grunde lediglich die vielleicht erträglichsten Ausbeuter der musikalischen Ideen, die die Beasty Boys mit ihren Alben „Licensed To Ill“ und „Paul's Boutique“ populär gemacht hatten, namentlich die organische Verbindung von Punk-Rock und Hip-Hop sowie das Sampling im Cut’n’Paste-Stil. Aber bei mir kämen Public Enemy auch nicht in die Top-Ränge des musikalischen Jahres 1990. Diese Ränge gebühren meiner bescheidenen Meinung nach Künstlern wie Nick Cave, Fugazi oder Azalia Snail etc.

Beste Grüße
–AJ
 
Last edited:
@Sakralsoziologie(Zu "Audens" Posting 23)

"Auden" erklärt BATAILLE in P 23 wirklich hervorragend, und liefert gute Gründe, sich mit ihm zu beschäftigen.

Mir ist ein guter Aufsatz über BATAILLE in die Hände gefallen.
Genauer: Der gute Kumpel, den ich angezapt habe, hat mir diesen gemailt.
Und demnächst erhalte ich auch ne vollständige Ausgabe von BATAILLEs "Geschichte des Auges."

Wenn ich den Aufsatz richtig verstanden habe, dann enthält BATAILLEs Verständnis von Obszönität und Transgression (= Grenzüberschreitung, grenzüberschreitende Erfahrung) ein zutiefst individualistisches und emanzipatorisches Element.

1937 gründeten einige frz. Philosophen um BATAILLE (MARCEL MAUSS, WALTER BENJAMIN, etc...) ein soziologisches College und etablierten die sogenannte "Sakralsoziologie."
Was ist damit gemeint?
Nun, das was "AJ" in P 23 prima erklärt.
Der Versuch, der Sexualität den sakralen Pol zurückzugeben, der sie vor allem durch das katholische Christentum und dessen restriktive Sexualmoral verlustig gegangen war.
Das ist wohl auch der Hintergrund für die sexuellen Episoden im "Auge", die häufig im kirchlichen Umfeld spielen.
Sexualität und Religion sind laut BATAILLE keine Gegensätze, und damit hat er auch Recht.
BATAILLEs Ansatz ist somit ein ganzheitlicher und erinnert mich stark an die asiatische Philosophie (bsp. "Tantra"), die ebenfalls die Einheit von Sexualität und Spiritualität betont.
Der Einfluß von BATAILLEs "Sakralsoziologie" reicht bis in die Neuzeit, und hat auch Denker wie DERRIDA und FOUCAULT beeinflusst.

So, das ist mein bisheriges Verständnis von BATAILLE.

"Auden" kann das ja gerne korrigieren und/oder erweitern, wenn er möchte.

lg
"Rosi" (Johannes)
 
Bevor ich was zu Bataille sage, will ich bekennen, dass ich Neil Diamond mag – und dürfte daher nicht mehr so ohne weiteres zu Pseudointellektuellen zählen. :D

Als Zweites bekenne ich, ein Ex-Katholik und jetzt – wie Andy43 - ein Agnostiker zu sein.

Und als Drittes bekenne ich, dass ich Texte von Bataille – wie auch die von Barthes, Baudelaire, Blake, Derrida, Foucault, Freud, Lacan, de Sade, Kafka und natürlich von Zizek, einem Schüler Lacans – gut finde.

Ich bin mit Bataille der Meinung, dass Literatur – wie auch das gesamte Spektrum der Kunst - ohne das Böse in großen Teilen ziemlich langweilig ist: Es hat schon seinen Grund, dass sich böse Geschichten (Krimis) am besten verkaufen und die höchsten Einschaltquoten erreichen. Früher, d.h. bis zum Ende des 19ten Jahrhudert, hat man für das, was z.B. de Sade geschrieben hat, gar kein Wort gehabt – möglicherweise, weil Gewalt (Folter, öffentliche Exekutionen) allgegenwärtig war. Erst Krafft-Ebing schlug 1892 vor, mit Sadismus das übersteigerte normale männliche Sexualverhalten zu benennen, während der Begriff Masochismus für übersteigertes normales weibliches Sexualverhalten gelten sollte. Das belegten wohl auch die damaligen klinischen Studien: Das erste fand sich häufiger bei Männern, das zweite bei Frauen.

Nitsche hat schon zuvor Bahnbrechendes geschrieben (Gott ist tot), was als Abgesang auf die christliche Kultur verstanden werden kann, die zu dem Zeitpunkt von der katholischen Kirche vehement verteidigt wurde (Dogma von Unfehlbarkeit des Papstes war nur eine Reaktion auf diese Auflösungserscheinungen). Bald danach kam auch Sigmund Freud mit seien Theorien um das verdrängte Ich und die menschliche Triebe.

Die Folge war eine allgemeine Verunsicherung, die Gesellschaft spaltete: Die einen suchten ihr Heil im Faschismus (Führer anstelle Gott), und die anderen im hemmungslosen Hedonismus, in dem alles erlaubt sein sollte (notfalls auch der Tod).

Einer wie Bataille, der in diese Zeit hineingeboren wurde, machte da keine Ausnahme: Streng katholisch erzogen brauchte er lange, um sich vom Katholizismus zu lösen. In Wirklichkeit löste er sich aber davon nicht, sonder ersetze ihn durch eine eigene Religion, die allerdings keinen Gott mehr bedurfte: Er gründete eine Geheimgesellschaft namens Acéphale (in der seine schöne Freundin Colette Peignot die einzige Frau war), die orgiastische, mythische Riten in Wäldern veranstaltete.

Was ihn und seine Freunde einte war: Sie wollten nicht so sein wie die übrige Gesellschaft. Der Tabubruch wurde zum Prinzip erhoben, allerdings physisch nur privat (siehe Geheimgesellschaft Acéphale) betrieben und nach außen hin so intellektuell verpackt, dass es sehr schwer war, dagegen vorzugehen: Unter dem Mantel des Surrealismus war alles erlaubt und ist es bis heute – siehe z.B. das Buch „Engländer“ von André Pieyre de Mandiargues, einem Mitglied der Académie française. (Ich habe das schon einmal gesagt: Wäre dieses Buch nicht von einem so bekannten Mann geschrieben, es wäre in Deutschland sofort verboten worden, weil es alles enthält, was § 184 StGB verbietet).

In diesem Zusammenhang ist es vielleicht interessant zu wissen, dass zu diesem Kreis um Bataille auch Jean Paulhan gehörte (auch ein Mitglied der Académie française), dessen Geliebte Anne Desclos die „Geschichte der O“ schrieb.

Man muss also Bataille, sein Werk und die seiner Freunde im Kontext der Zeit sehen. Als Auflehnung gegen damalige rigide Moralvorstellungen, in denen sie alle aufgewachsen sind. Als Kind kann man sich dagegen nicht wehr und vielen gelingt das nicht einmal als Erwachsener. Gleichzeitig bekam man in diesem frühen Alter im Religionsunterricht Schauergeschichten erzählt, die, handelte es sich nicht um christliche Märtyrer, sofort verboten würden. Ein Beispiel ist hier zu lesen und zu sehen - Zitat:

„Als er ihn im südöstlich von München gelegenen Ort Kleinhelfendorf eingeholt hatte, ließ er Emmeram von seinen Leuten auf eine Leiter binden und ihm bei lebendigen Leibe nach und nach die Körperteile abschneiden. Mit lebensgroßen Figuren in einer barocken Fassung ist dies heute in der Marterkapelle von Kleinhelfendorf nachgestellt.“


Auf ähnliche Weise haben Chinesen noch 1905 Menschen hingerichtet (Lingchi). Als Bataille davon in den 20er Jahren erfuhr, war er tief beeindruckt: Er verwendete die Bilder aus China in seinem letzten Werk „Die Tränen des Eros“, das vor allem seine Kommentare zu Bildern (der Gewalt) von der Prähistorie bis zur Gegenwart enthält.

Bataille war ein Erotomane wie er im Buche steht, Sammler von Pornografie aller Art und ständiger Gast in den Bordellen auch dann, wenn er verheiratet war oder eine feste Freundin hatte. Und doch wahrte er bürgerliche Fassade, gab sich in Gesellschaft Unbekannter bieder bis spießig. Ich schätze, damals konnte man nicht anders, schließlich war er „nur“ Bibliothekar: 20 Jahre an der Bibliothèque nationale de France. Dieser Job war es auch, das ihm unbeschränkten Zugriff auf Bibliotheksbestände sicherte, u.a. auch auf Werke, die für normal Sterblichen gar nicht existierten, weil ihnen nicht bekannt. Aus diesem Fundus bediente er sich reichlich, trug zusammen, was vor ihm kaum einer in der Lage war. Ich finde, er hat seine Möglichkeiten gut genutzt.
 
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