Wann lohnt sich Charakterzeichnung bzw. wann ist ein Text eine Geschichte?

Das ist bei mir nicht nur Vorarbeit. Ich habe die Charaktere aufgeschrieben und immer weiter detailliert während ich geschrieben habe. Natürlich ergänze ich hier und da noch Dinge und wenn neue Charaktere eingestellt werden, mache ich mir dazu natürlich auch ein Profil.

Es mag vielleicht aufwendig sein, aber es macht mir auch Spaß. Ich habe sogar KI-Bilder für alle meine Charaktere erstellt.
 
Das ist bei mir nicht nur Vorarbeit. Ich habe die Charaktere aufgeschrieben und immer weiter detailliert während ich geschrieben habe. Natürlich ergänze ich hier und da noch Dinge und wenn neue Charaktere eingestellt werden, mache ich mir dazu natürlich auch ein Profil.

Es mag vielleicht aufwendig sein, aber es macht mir auch Spaß. Ich habe sogar KI-Bilder für alle meine Charaktere erstellt.
Den Aufwand kenne ich eher von Rollenspielen. Oder bei den schon von mir genannten Serien und Filmen. Da werden bei langjährigen Projekten auch Diagramme erstellt wie welche Person zu anderen steht, Vorlieben, Abneigungen usw. Da arbeiten dann aber auch mehrere Personen an der Story.
 
Ich bin beeindruckt von dem Aufwand, den ihr treibt. Ist das nicht ungeheuer zeitintensiv? Ich komme so schon kaum voran, wenn ich diese Art von Vorarbeit leisten würde, würde es bei der Vorarbeit bleiben.

Es kommt immer darauf an, was man schreibt. Sexgeschichten ohne größeren Kontext kann man vielleicht auf die Beschreibung von Busen- oder Penisgröße reduzieren. Wenn es um Stories über Personen und eventuell auch längere Serien geht, wo der Sex nicht die Hauptrolle spielt, sollte der Hintergrund schon stimmig sein. Ich lasse gerne meine Geschichten an Orten spielen, die ich selbst kenne, aber wenn das nicht funktioniert, gebe ich mit Mühe, die Orte möglichst intensiv zu recherchieren.

Du kannst dir ja mal meine non-Sex-Stories auf romane-forum.de ansehen.
 
Ich schreibe ja romantische, vielleicht auch erotische Geschichten, keine Hardcorepornos ohne relevante Story. Daher ist mir sowas schon wichtig.
 
Den Aufwand kenne ich eher von Rollenspielen. Oder bei den schon von mir genannten Serien und Filmen. Da werden bei langjährigen Projekten auch Diagramme erstellt wie welche Person zu anderen steht, Vorlieben, Abneigungen usw. Da arbeiten dann aber auch mehrere Personen an der Story.
Ja, das war bei mir auch sofort im Kopf. Den Nichtspielercharaktere eine Tiefe geben, die sie dann erst richtig als Spielleiter spielbar machen. Niemand weiß, was und wie die Spieler mit der Figur interagieren. Man muss sich nur - wie auch beim Schreiben - bewusst sein, dass man die meiste Arbeit nur für sich selbst macht und die Spieler/respektive Leser immer nur ein Bruchteil davon erleben werden. Meistens gehe ich da doch eher den in der Vorarbeit leichteren weg und improvisiere dann im Spiel bzw. beim Schreiben. Aber es ist eigentlich nur ein Verschieben des Aufwandes mit der Gefahr lieblos oder generisch rüber zu kommen.
 
Ja, das ist sicher nicht der Weg des geringsten Widerstands. Aber es macht mir Spaß die Charaktere mit all ihren Details auszuarbeiten.

Ich habe momentan ca. 1025 Seiten Charakterbeschreibungen in Word für Nadines Frühlingserwachen. Dabei sind aber vor allem einige der männlichen Charaktere noch nicht hinreichend ausgearbeitet. Das mache ich aber nach und nach.
 
Ja, das ist sicher nicht der Weg des geringsten Widerstands. Aber es macht mir Spaß die Charaktere mit all ihren Details auszuarbeiten.

Ich habe momentan ca. 1025 Seiten Charakterbeschreibungen in Word für Nadines Frühlingserwachen. Dabei sind aber vor allem einige der männlichen Charaktere noch nicht hinreichend ausgearbeitet. Das mache ich aber nach und nach.
Ich sage ja nichts dagegen. Arbeite gerde an einer Stadtbeschreibung. Sind ca. 500 Leute, die ich beschreiben will. Natürlich nicht alle auf einmal. Das soll eine riesige Sandbox werden, in der man viele Geschichten und Verwicklungen entdecken können soll (aber nicht muss). Mache ich aber auch hauptsächlich erst einmal, weil es mir Spaß macht. Auch wenn es nicht nötig wäre.
 
Ja, das ist sicher nicht der Weg des geringsten Widerstands. Aber es macht mir Spaß die Charaktere mit all ihren Details auszuarbeiten.

Ich habe momentan ca. 1025 Seiten Charakterbeschreibungen in Word für Nadines Frühlingserwachen. Dabei sind aber vor allem einige der männlichen Charaktere noch nicht hinreichend ausgearbeitet. Das mache ich aber nach und nach.
Wie gehst du denn da genau vor? Ich meine bei solch einer Menge lohnt sich ja schon ein sehr automatisiertes Vorgehen wo man einige Daten und Fragen wie bei einem Steckbrief oder einem "Freundebuch aus der Schule" vorgeht. Wo du zuerst optische Daten, wie Größe Haarfarbe etc. einträgst und dann Charaktereigenschaften, Motivationen, Ziele. Macken und letztendlich Beziehungen zu anderen Charakteren.
Hast du dabei auch so etwas wie einen Stammbaum wo du einträgst wer mit wem in welcher Beziehung steht?
 
Ich bin beeindruckt von dem Aufwand, den ihr treibt. Ist das nicht ungeheuer zeitintensiv? Ich komme so schon kaum voran, wenn ich diese Art von Vorarbeit leisten würde, würde es bei der Vorarbeit bleiben.
jein. Es läuft zum Teil parallel, und es ist schneller in einer Datei mit Verknüpfungen zu suchen wie in vier Textdateien.
Außerdem macht's Spaß :)

Das ist bei mir nicht nur Vorarbeit. Ich habe die Charaktere aufgeschrieben und immer weiter detailliert während ich geschrieben habe.
hast du mit der Charakterisierung angefangen oder mit der Geschichte?

Bei mir begann es mit ein paar Zeilen Notizen und der Absicht, drei Teile zu 80..100S zu schreiben. Das ging gründlich schief (Verlauf samt Ende) und als Folge hat sich die Notizdatei aufgebläht, da ich während der Arbeit an der Geschichte diese parallel fülle. Dummerweise habe ich noch immer keine Ahnung, wie ich zum Ende komme.

Das soll eine riesige Sandbox werden, in der man viele Geschichten und Verwicklungen entdecken können soll (aber nicht muss)

ja, sowas ähnliches baue ich auch daraus. Die erste "Spin-Off"-Geschichte habe ich schon geschrieben. Es hat ein paar Vorteile, wenn man auf eine bekannte Umgebung zurückgreifen kann.
 
Wie gehst du denn da genau vor? Ich meine bei solch einer Menge lohnt sich ja schon ein sehr automatisiertes Vorgehen wo man einige Daten und Fragen wie bei einem Steckbrief oder einem "Freundebuch aus der Schule" vorgeht. Wo du zuerst optische Daten, wie Größe Haarfarbe etc. einträgst und dann Charaktereigenschaften, Motivationen, Ziele. Macken und letztendlich Beziehungen zu anderen Charakteren.
Hast du dabei auch so etwas wie einen Stammbaum wo du einträgst wer mit wem in welcher Beziehung steht?
Ja, also ich habe eine Vorlage, welche Informationen ich zu jeder Person ausarbeiten will und das fülle ich dann mal mehr und mal weniger detailliert aus. Das geht aber runter bis zu solchen Dingen: "Was ist dein Lieblingssprichwort?" Und ja, theoretisch könnte ich für jeden Charakter ein Freundebuch aus der Schule komplett ausfüllen.

Die Beziehungen schreibe ich mir auch auf. Ich will das Ganze aber auch noch grafisch darstellen; bin mir aber immer noch unsicher bzgl. der besten Darstellungsform. Ich denke momentan an so Mindmaps.

Ich weiß, es ist ziemlicher Irrsinn, was ich mache, aber es macht Spaß.
 
hast du mit der Charakterisierung angefangen oder mit der Geschichte?

Bei mir begann es mit ein paar Zeilen Notizen und der Absicht, drei Teile zu 80..100S zu schreiben. Das ging gründlich schief (Verlauf samt Ende) und als Folge hat sich die Notizdatei aufgebläht, da ich während der Arbeit an der Geschichte diese parallel fülle. Dummerweise habe ich noch immer keine Ahnung, wie ich zum Ende komme.
Ich habe mit der Geschichte angefangen. Irgendwann kamen dann Notizen dazu. Dann habe ich kleine Steckbriefe gemacht. Und so ging das dann immer weiter. Mittlerweile habe ich meine feste Vorlage, mit der ich arbeite.

Einige Steckbriefe habe ich für Charaktere, die ich noch gar nicht eingeführt habe. Für andere Charaktere habe ich Ideen; ich habe sie aber noch nicht vollständig ausgearbeitet.
 
Sind die Charaktere völlig erfunden oder basieren sie auf realen Menschen aus deinem Umfeld, bzw. vielleicht Schauspielern, Film/Serienfiguren etc.?
 
Die Geschichte basiert auf meinem realen Leben. Ich habe aber natürlich einige Dinge geändert. Außerdem kenne ich ja nicht alle Informationen über alle Personen in meinem Umfeld, sodass ich Lücken auffüllen musste. Namen habe ich z.B. geändert, aber auch einige Details über Gegebenheiten. Ein bisschen künstlerische Freiheit.
 
War an für sich schon immer ein Thema, entstand aber immer nur im Kopf und mit ein paar wenigen Notizen.

Aber als als ich im Sommer 2021 mit einem anderen Literotica Autor eine vierteilige Urlaubsgeschichte schrieb, sah ich, in welcher sehr professionellen Weise er die Projektplanung zu einer Geschichte sich erarbeitet. Das Schema habe ich mir aufgehoben.

Da geht es in tabellarischer Form, z.B um Name, Alter, äußere Merkmale, soziale Rolle/Funktion, dann um persönliche Motivation, Ziele, Träume, Konflikte und Lernaufgaben, unter persönlichen, charakterlichen und sozialen Eigenheiten z.B um Stärken, Schwächen, Stellung im Leben, Situation in Bezug zu Eltern, Familie und Freunden, soziale Herkunft und Geschichte, erotische Situation, prägende Erfahrungen, erotische Vorlieben und Themen.

Dies in kurzer Beschreibung einmal geschildert. Meine Figuren sind teilweise von realen Personen beeinflusst, oder auch von Personen aus Geschichten und Erfahrungsberichten unterschiedlichster Quellen. Schauspieler/Filmfiguren oder Prominente nehme ich aber nicht als Einfluss für meine Figuren, eher noch Romanfiguren.

So habe ich in den 90ern einmal in einer Bravo, die ich geschenkt bekam(der Schenker arbeitete in einer Druckerei, die die Umschläge oder so für eine Reihe von Publikationen druckt) die Gesichte einer 17 jährigen gelesen, die unter anderem über ihre unglücklich verlaufene erste Liebe berichtet. Dies fiel mir wieder ein, als ich nach "Stoff" für eine erotisch-romantische Geschichte mit Hindernissen suchte. Diese 17 jährige inspirierte mich zu der Figur der 18 jährigen Milena, ihren Erfahrungen mit ihrer zweiten Liebe und zu "Kirschenklauen und Badespaß". Und ich überlegte mir, wie wäre ein junger Mann mit dem sie in einer neuen Liebe andere und am Ende der Geschichte positivere Erfahrungen machte, auch wenn es vorher ein paar kleinere und lösbare Konflikte gab und so kreierte ich die Figur des Jannik.
 
Last edited:
Ich denke momentan an so Mindmaps.
das habe ich probiert, mit Freeplane. Beziehungen und Abhängigkeiten der Figuren und Handlungen funktionieren recht gut, auch die Charakterisierung lässt sich noch da hineinbasteln. Freeplane kann allerdings keine Tabellen zuordnen bzw. abbilden, oder ich habe es nicht gefunden :cool:

Was ich aber gar nicht hinbekomme, ist eine zeitliche Abfolge abzubilden. Und wenn es nur eine eingebundene Tabelle ist. Hast du da was gefunden, das funktioniert? So eine Mindmap mit einer weiteren Dimension wäre aber echt praktisch
 
Das ist bei mir nicht nur Vorarbeit. Ich habe die Charaktere aufgeschrieben und immer weiter detailliert während ich geschrieben habe. Natürlich ergänze ich hier und da noch Dinge und wenn neue Charaktere eingestellt werden, mache ich mir dazu natürlich auch ein Profil.
Gerade bei längeren, mehrteiligen Geschichten finde ich das auch notwendig.

Für mich als Leser ist es verwirrend, wenn während der Geschichte die Charaktere ihre Äußerlichkeiten oder Verhaltensweisen total ändern.
 
Für mich als Leser ist es verwirrend, wenn während der Geschichte die Charaktere ihre Äußerlichkeiten oder Verhaltensweisen total ändern.
Absolut. Inkonsistente Charaktere sind einfach ein Fehler. Und nur um jedes Missverständnis zu vermeiden: Ich bin beeindruckt von dem Aufwand, den einige hier treiben, um gerade da genau zu bleiben. Find ich toll.

Mir selbst wäre nur der Aufwand zu hoch. Und ich bilde mir ein, dass ich gerade den Charakter einer wichtigen Figur im Kopf habe. Schwieriger wird es bei der Lokalität: Aufbau, Lage und Einrichtung einer Wohnung, oder bei vielen Randfiguren. Da mach ich eher Fehler, da würde eine Hilfsdatei nützlich sein
 
Was ich aber gar nicht hinbekomme, ist eine zeitliche Abfolge abzubilden. Und wenn es nur eine eingebundene Tabelle ist. Hast du da was gefunden, das funktioniert? So eine Mindmap mit einer weiteren Dimension wäre aber echt praktisch
Papyrus besitzt eine solche Funktionalität. Neben einer Datenbank für Personen gibt es auch eine Zeitlinie, die es ermöglicht sogar mehrere parallele Stränge im Blick zu behalten. Diese habe ich selbst bisher noch nicht genutzt. Ich habe meine Abläufe über das Denkbrett / Mindmap abgebildet.
 
Ich stelle mal folgende Fragen zur Diskussion.

1. Was ist Charakterzeichnung überhaupt?

2. Wann lohnt sich diese bei einem Text?

3. Wann ist es eine Geschichte und nicht nur eine Sexszene?

[...]

Ich bin gespannt.

swriter
Puhhh.... viele Antworten, mit denen sicherlich alle Antworter "für sich" auch Recht haben. Denn gibt es dafür überhaupt eine allgemeingültige Antwort?

Meine - rein isolierte und absolut subjektive - Sicht darauf wäre vielleicht Folgendes:

Eine Charakterzeichnung hilft mir dabei, das Handeln und Aggieren einer Person zu verstehen. Für mich trägt jeder Mensch in sich eine eigene "Logik", also einen Wertekanon, eine individuelle Sammlung von Verhaltensmustern, etwas, was sich aus seinem "Wesen" und der "Geschichte dieser Person" ergibt. Je besser ich dieses als Leser kenne, desto besser verstehe ich sein Handeln und desto besser kann ich es "aus seinem Wesen heraus" nachvollziehen. Ich muss es nicht gutheißen, ich muss nicht in gleicher Situation genauso handeln, ich muss nur verstehen, warum er in dieser Situation so handelt wie er es tut.

Letztendlich ist das für mich auch der Unterschied zwischen einer Sexszene und einer Geschichte. EIne Sexszene beschreibt allein Handlungen. In einer Geschichte wird mir auch etwas mitgegeben, das mir hilft zu verstehen, warum die Person so handelt und/oder entscheidet. "Er lag auf dem Bett und holte sich einen 'runter." wäre für mich also eine Sexszene, während "Er fühlte sich einsam, allein und unsichtbar, weshalb er sich einen 'runterholte, in der Hoffnung, sich dadurch selbst zu spüren." für mich eine Geschichte wäre.

Eine Charakterzeichnung muss nicht zwingend Äußerlichkeiten enthalten, aber sie können ggf. dabei helfen zu verstehen, warum jemand handelt oder entscheidet. Es hängt auch ein bisschen davon ab, was man für das Verständnis braucht. Vielleicht reicht schon ein "Tief in ihrem Inneren fühlte sie sich so unglaublich sexy, dass es für ihre Handlungen keiner Rechtfertigungen bedurfte.", vielleicht ist aber auch ein "Ihre C-Cups waren ein Hingucker, insbesondere in dem Kleid, das sie gerade trug. Die Blicke der Männer, die sie damit anzog, empfand sie als Zustimmung und Bestätigung dafür, dass sie eine unglaublich sexy Frau war, für deren Handlungen es keiner weiteren Rechtfertigungen bedurfte." notwendig für eine Charakterzeichnung.

Eine Charakterzeichnung muss auch nicht en bloc an den Anfang gestellt werden. Sie kann sich auch im Verlauf der Geschichte puzzleartig ergeben, indem zu den Handlungen/Entscheidungen entsprechende kleine Bausteine beigefügt werden, aus denen sich der Leser dann Stück für Stück das Gesamtbild zusammenbaut. Ich muss auch nicht immer zwingend in den Kopf jeder Person mitgenommen werden. Wenn es z.B. eine Geschichte ist, die sehr konzentriert aus einer Ego-Sicht geschrieben ist, dann besteht ja gar keine Möglichkeit, den Leser direkt in den Kopf einer anderen Person hineinzunehmen. Aber so, wie die Ego-Person die andere kennenlernt und sich die Handlungen der/des anderen zu erklären versucht, so formt sich ja auch für mich als Leser ein (wahrscheinlicher) Charakter dieser "Dritten Person". Auch das kann also eine Charakterzeichnung sein.

Die Frage, wann sich eine Charakterzeichnung lohnt, ist einfach zu beantworten: immer. Die Frage sollte eher lauten, "Wie" bzw. "Wie umfangreich" sie zu sein hat. Und das wiederum ergibt sich aus der Geschichte: wenige Handlungen/Entscheidungen brauchen auch nur eine knappe Charakterzeichnung, je mehr Handlungen/Entscheidungen es gibt, desto mehr muss man ggf. auch Informationen über den Charakter der entsprechenden Person beifügen.

Ich hoffe, damit eine Antwort im Sinne des Ausgangspostings gemacht zu haben.

Herzlichst
Herman Melville

p.s.:
In der Geschichte, die ich hoffentlich bald anfange zu veröffentlichen, wird das gesamte erste Kapitel tatsächlich dazu dienen, auch eine Charakterzeichnung meines Hauptprotagonisten zu liefern. Es gibt noch keine Handlung im Sinne der Geschichte und wir lernen auch keine Person kennen, die für unmittelbaren Fortgang der Geschichte irgendeine Bedeutung hat. Es ist "nur" Erzählung der Vergangenheit bis zu dem Punkt, wo wir gerade sind. Aber dieses erste Kapitel ist (hoffentlich) das stabile Fundament, dass die komplette Geschichte bis zu seinem Ende trägt. Es wird aber wahrscheinlich auch eine sehr lange Geschichte.
 
Nützlich für die Beantwortung der angeführten Fragen wäre vielleicht zunächst einmal zu klären, was überhaupt unter einem Charakter zu verstehen sei, denke ich. Oder wie wollte man den andernfalls "zeichnen", um swriters Wortwahl aufzugreifen, wenn man gar nicht wüßte, um was es sich bei ihm, der zu zeichnenden Sache: dem Charakter also, eigentlich handelte?

Ich würde vorschlagen wollen, den Charakter – in Anschluß an Aristoteles – zu begreifen als die Artung bzw. Veranlagung der seelischen Vermögen (Wille, Gemüt, Neigungen, Denken), die ihren Besitzer dazu bringt, auf die ihm eigene Weise zu handeln und zu fühlen.

Wenn wir den Charakter entsprechend dieses Vorschlags begreifen, so ist übertragen auf das Gebiet des Erzählens unter dem Zeichnen eines Charakters die Darstellung des Handelns und Fühlens einer erfundenen Figur zu verstehen. Da Handeln und Fühlen gewisse Umstände erfordern, um für uns begreiflich zu werden, ist also jenes Handeln und Fühlen der erfundenen Figur in einen erzählerischen Rahmen einzubetten, der diese Umstände bereitstellt. Solche könnten z. B. moralische Zwangslagen sein, in denen sich der jeweiligen Figur eine Mehrzahl von Auswegen bieten, die von den moralisch einwandfreien über die fragwürdigen bis zu den verurteilenswerten reichen könnten. Je nachdem, für welche der Möglichkeiten die Figur sich jeweils entscheidet (und entsprechend handelt), wird uns bereits eine Menge über sie verraten; wenn dazu noch die Gefühle oder gar die Überlegungen, die die Entscheidung (und das entsprechende Handeln) der Figur begleiten, geschildert werden, so wird unser Bild von dem Charakter der jeweiligen Figur vollends abgerundet.

Das also, würde ich vorschlagen, ist, was Charakterzeichnung bedeutet (und also meine Antwort auf swriters erste Frage).

Bemerkenswert, finde ich, ist an dieser Stelle vielleicht, daß viele Dinge, die der swriter in seinem Eingangsbeitrag offenbar selbstverständlich zur Charakterzeichnung zählen wollte, so z. B. das Anführen von Alter, Aussehen und Freizeitbeschäftigungen einer Figur, gar nicht unter diese fallen. Denn weder das Anführen von Alter, Aussehen noch Freizeitbeschäftigungen stellt das Handeln und Fühlen der jeweiligen Figur dar! Ich vermute, daß dieser Irrtum – zumindest teilweise – zurückzuführen ist auf den großen Einfluß des Englischen, welches mit character unterschiedslos sowohl die erfundenen Figuren als auch ihren jeweiligen Charakter bezeichnet. So liegt es dann nahe, aus dem verwandten englischen Wort der characterization – irrtümlich! – abzuleiten, daß die bloße Beschreibung einer Figur bereits eine Zeichnung ihres Charakters bedeutete. (Die "Charakterisierung" erweist sich also als falscher Freund, der trotz äußerlich großer Ähnlichkeit zur englischen characterization nicht unbedingt auch dieselbe Bedeutung trägt.)

Was nun die Figurenbeschreibung anlangt, scheint mir der swriter der Auffassung André Gides zuzuneigen, der bekanntlich forderte, daß jegliche äußerliche Beschreibung der erfundenen Figuren zu unterbleiben habe. Auch weiß ich aus verschiedenen Strängen im englischen LIT-Autorenforum, daß diese Auffassung dort ebenfalls ziemlich weit verbreitet ist und ganz ähnlich begründet wird, wie der swriter es hier tut. Angeblich werde so der Phantasie des Lesers mehr Raum geboten, der sich die jeweiligen Figuren nach eigenem Belieben in seiner Vorstellung ausmalen könne; auch werde auf diese Weise das Ungeschick vermieden, einen Leser durch eine Beschreibung, die ihm vielleicht weniger gefällt oder gar seinen Vorlieben widerspricht, zu verprellen.

Mich haben diese Begründungen noch nie überzeugt, weder in Rücksicht des künstlerischen Romans (auf den André Gides Forderung gemünzt war) noch des erotischen oder pornographischen Erzählens, das für unsere Belange hier ja im Mittelpunkt stehen dürfte. Denn gerade in einem derart stark auf den Körper und die Sinne ausgerichteten, ja geradezu auf sie angewiesenen Erzählen wie dem erotischen oder pornographischen die Beschreibung der Körper der beteiligten Figuren und der sinnlichen Eindrücke, die sie auf die handelnden und fühlenden Figuren machen, zu unterlassen, das ist in meinen Augen schlechterdings ein Unding, eine Unsitte, ja ein schwerwiegender Fehler, der dem Sinn des erotischen oder pornographischen Erzählens nicht nur zuwiderläuft, sondern diesen nachgerade bestreitet, entstellt oder verleugnet. Und nach der obigen Erläuterung der Charakterzeichnung stellte sich insbesondere bei einer figuralen Erzählperspektive, wenn also das Geschehen aus der Sicht einer oder mehrerer der handelnden und fühlenden Figuren geschildert wird, insbesondere dann also stellte sich die Frage, was uns diese merkwürdige Lücke in der Wahrnehmung und im Empfinden der jeweiligen Figur eigentlich über sie verrät, ja was eben für ein Charakter ihr eigen sein muß, wenn das Aussehen der anderen für ihre Willensbildung, ihre Gestimmtheit, ihre Zu- und Abneigung, ihre Überlegungen offenkundig nicht die geringste Rolle spielt? Ich würde behaupten, daß dies ein unmenschlicher Charakter wäre, und wenn dieses Urteil zu scharf sein sollte, dann zumindestens doch ein falscher Charakter, eine einzige Anmaßung und Unaufrichtigkeit, die lediglich gemildert (wenngleich vielleicht erheblich), aber doch nicht gänzlich ausgeschaltet wird, wenn die Erzählperspektive nicht durch das Prisma einer oder mehrerer der handelnden und fühlenden Figuren gebrochen wird.

Kurzum: Die Figurenbeschreibung – insbesondere im erotischen oder pornographischen Erzählen – grundsätzlich zu unterlassen, ist ein folgenschwerer Fehler!

Nachdem nun meine Erläuterungen rund um swriters erste Frage bereits den vorliegenden Umfang erreicht haben, will ich es fürs erste an dieser Stelle dabei bewenden lassen. Ich habe mich bemüht, meine Gedanken möglichst verständlich auszudrücken, aber angesichts der vertrackten Angelegenheit, um die es hier geht (immerhin nichts geringeres als eine der Grundlagen des Erzählens), mag mir dies vielleicht nicht jedesmal gelungen sein. Für Rückfragen, Anmerkungen und Hinweise wäre ich daher überaus dankbar. Und natürlich bin ich gespannt auf den Fortgang des Gedankenaustauschs hier!


Durch deinen Kommentar zu Leurots Die Entdeckung bin ich auf diesen Thread gestoßen, und möchte dies zum Anlass nehmen, um mich zum einen als der Anonyme Kommentator in der Geschichte zu outen und um eine Antwort zu verfassen, die auf meinen eigenen Schreiberfahrungen basiert.

Dass ich meinen Kommentar seinerzeit anonym verfasst habe, lag an vergangenen Interaktionen mit dem Autor, welche per E-Mail abrupt endeten, und in einem Kommentar unter einer meiner Veröffentlichungen mündeten, welcher mir eine gewisse Vorhersehbarkeit, dramaturgische Überfrachtung und "telling not showing" vorwarf. Mir war wichtig, dass die Rückmeldung als inhaltliche Kritik wahrgenommen wird – nicht als persönliches Nachkarten.

Da ich nun den Kontext etabliert habe:

Ich finde deine Unterscheidung hilfreich: Charakterzeichnung zeigt, wie eine Figur fühlt, entscheidet und handelt, im Konflikt, unter Druck, mit Konsequenzen. Charakterbeschreibung benennt dagegen äußere Daten und Merkmale. Beides sind legitime Werkzeuge, aber sie erfüllen unterschiedliche Funktionen.

In diesem Zusammenhang denke ich auch an die bekannte Unterscheidung zwischen flat und round characters. Von meinem Eindruck her arbeitet swriter eher mit "flachen" Figuren, die kaum Entwicklung durchlaufen und vor allem einem klaren Zweck dienen. Das kann funktionieren, gerade in kürzeren Texten oder Szenen, während "runde" Figuren meist mehr psychologische Tiefe und Wandlung zulassen.

An dieser Stelle würde ich dir in einem Punkt allerdings leicht widersprechen. Du betonst sehr stark die Notwendigkeit äußerer Beschreibungen, insbesondere im erotischen Erzählen. Ich verstehe die Argumentation, gerade weil Erotik nun einmal stark auf den Körper und die Sinne verweist.

Meine eigene Erfahrung im Schreiben war jedoch eine andere: Ich arbeite sehr nahe an der Innenwahrnehmung meiner Figuren. Die Leser erfahren, was sie spüren, denken, fürchten, aber selten, welche Haarfarbe sie haben oder ob ihre Beine lang oder kurz sind. Dieses Auslassen ist keine Nachlässigkeit, sondern Absicht. Es soll die Figuren offenhalten als Projektionsfläche für die Leser.

Ein Beispiel: In meiner Geschichte "Clara" beschreibt die Protagonistin sich selbst nur zweimal – einmal nüchtern im Rahmen eines Dossiers, in dem sie Körpermaße und Eigenschaften eintragen muss (eine bewusst unsinnliche Situation), und einmal in einer Spiegel-Szene, die mehr über ihre Selbstzweifel als über ihre äußere Erscheinung erzählt. Alles andere bleibt vage. Und trotzdem, oder vielleicht gerade deshalb, haben viele Leser eine sehr konkrete Vorstellung von Clara, einfach weil sie so intensiv aus ihrem Inneren heraus wahrgenommen wird.

Ähnlich bei Louisa: In einer Gruppenszene wäre ein Satz wie "Meine großen Brüste rieben über den Teppich, als er meinen 1,65 m großen Körper von hinten nahm“ nicht nur hölzern, sondern würde die Atmosphäre sofort zerstören. Ich versuche daher, äußere Merkmale nicht zu behaupten, sondern sie – wenn überhaupt – aus Handlungen oder Reaktionen heraus aufscheinen zu lassen.

Ich würde sogar sagen: Es ist völlig legitim, Figuren als Projektionsflächen offen zu lassen, solange eine Beschreibung dem Plot nicht dient. Im Fall von Clara, einer Bewerberin, die gerade wegen ihres Verstands und ihres äußeren Erscheinungsbildes ausgewählt wird, war eine Beschreibung notwendig und sinnvoll. Im Fall von Louisa hingegen – einer Studentin, die sich in eine missliche Lage innerhalb ihrer WG manövriert – hätte eine detaillierte Beschreibung ihres Körpers nichts beigetragen. Dort trägt die Handlung, nicht die Physis, und genau das soll im Vordergrund stehen.
 
Ich lobe mir deinen Mut, @millamomud, deine Urheberschaft jenes anonymen Kommentars nachträglich öffentlich zu machen! Denn wie du vielleicht inzwischen selber erfahren durftest (oder vielleicht mußtest?), sind kritische Kommentatoren hier nicht gerade wohlgelitten. Auch lobe ich mir die Ausführlichkeit und Genauigkeit deiner kritischen Anmerkungen zu jener Veröffentlichung von @Leurot: Das ist beispielgebend für alle anderen, die hier Kommentare abgeben, abgegeben haben oder dies in Zuknft zu tun gedenken!

Nun zu deiner Antwort auf meine Einlassungen zur Charakterzeichnung und Figurenbeschreibung: Es freut mich natürlich, daß du die vorgeschlagene Unterscheidung hilfreich findest! Und in der Tat, es mag gewisse Überschneidungen mit der aus dem englischen Sprachraum stammenden Unterscheidung zwischen flat und round characters geben, allerdings reichen die vielleicht vorhandenen Überschneidungen längst nicht hin, um von Deckungsgleichheit reden zu können (was du ja, sofern ich dich richtig verstehe, auch glücklicherweise nicht tust)! Auch eine im Sinne meiner vorgeschlagenen Unterscheidung charakterlich gezeichnete Figur könnte "flach" bleiben, denn Charakterzeichung selbst ist erst einmal nur eine formale Sache; über ihre eigentliche Güte ist damit noch nichts ausgesagt.

Dein Widerspruch zu meiner Forderung nach Figurenbeschreibung, insbesondere in Rücksicht des erotischen oder pornographischen Erzählens, überrascht mich nicht, denn wie ich bereits in jenem von dir zitierten Beitrag anführte, weiß ich um die weite Verbreitung der auch von dir vertretenen Auffassung, daß Figuren als leere "Projektionsflächen" für den Leser zu dienen hätten. Dieser Auffassung liegt, denke ich, eine funktionalistische Sicht auf das Erzählen allgemein zugrunde: jeder (analysierbare) Bestandteil x einer Geschichte erfülle eine Funktion T in bezug auf, wahlweise, a) den (idealen) Leser K oder b) Erzähltheorie M.

Du selber führst sowohl a) als auch b) ins Feld: einmal, weil das Unterlassen der Figurenbeschreibung die Funktion erfülle, den Leser in die Lage zu versetzen, seine eigenen Vorlieben, was das äußerliche Erscheinungsbild anlangt, auf die jeweilige Figur zu übertragen ("Projektionsfläche"); zum anderen, weil die von dir bevorzugte Erzähltheorie fordere, daß alles, was nicht dem "Plot" diene, zu unterlassen sei, und du Figurenbeschreibung scheinbar als irrelevant für den "Plot" erachtest ("Handlung" vs. "Physis").

Meine Forderung nach Figurenbeschreibung, insbesondere in Rücksicht des erotischen oder pornographischen Erzählens, gründet hingegen nicht auf einer funktionalistischen Allgemeinsicht. Daher teile ich nicht die Grundannahme, von der du ausgehst, und deshalb gelange ich auch nicht zu den Schlüssen, die du ziehst – sondern vielmehr zu ihrem genauen Gegenteil! Das erotische oder pornographische Erzählen ist eigener Art, es kann deshalb nicht einfach den allgemeinen Regeln einer funktionalistischen Textanalyse unterworfen sein. Wie Susan Sontag in ihrem wegweisenden Aufsatz "The Pornographic Imagination" herausgearbeitet hat, kommt der Pornographie (oder dem Erotischen) ein eigener Zugang zur Wirklichkeit oder "Wahrheit" zu, der von einer Überschreitung des gewöhnlichen Bewußtseins und der durch den Verstand (im Gegensatz zum Leib) gezogenen Grenzen herrührt. Die funktionalistische Sicht jedoch ist bestimmter Ausdruck ebendieses gewöhnlichen Bewußtseins, das vom Verstand (und nicht dem Leib) regiert wird! Also kann die funktionalistische Sicht dem erotischen oder pornographischen Erzählen schlechterdings nicht gerecht werden.

Zu deinen zwei Beispielen aus deinem eigenen Schreiben: Ich habe die jeweiligen Geschichten, denen sie entstammen, nicht gelesen, deshalb sind meine folgenden Ausführungen natürlich nur cum grano salis zu nehmen, aber in beiden Geschichten, soviel ist ersichtlich, haben wir es offenbar mit einem (weiblichen) figuralen Ich-Erzähler zu tun. Der Natur dieser Fokalisierung ist geschuldet, daß der (leibliche) Blick des Erzählers grundsätzlich auf andere und nicht auf sich selber gerichtet ist, weshalb eine umstandlose Selbstbeschreibung stets Gefahr liefe, unnatürlich zu wirken. Jedoch schließt das zum einen keineswegs die (äußerliche) Beschreibung der anderen Figuren aus; und zum anderen eröffnet auch diese Fokalisierung dem geschickten Schreiber zahllose Möglichkeiten, um die Figur des Ich-Erzählers auf natürliche Weise (äußerlich) zu beschreiben, sowohl mittelbar (z. B. durch Bemerkungen anderer Figuren über das Äußere des Ich-Erzählers) als auch unmittelbar (z. B. durch Gedanken oder Antworten des Ich-Erzählers selber auf jene Bemerkungen anderer Figuren).

Du siehst, @millamomud, auch in bezug auf einen figuralen Ich-Erzähler kann meine Forderung nach Figurenbeschreibung ohne weiteres aufrechterhalten und erfüllt werden! (Zur Verdeutlichung meines ursprünglichen Punktes sei an der Stelle angemerkt, daß ich nicht forderte, daß stets alle Figuren einer erotischen oder pornographischen Geschichte [äußerlich] beschrieben werden müßten; ich wies vielmehr die gegensätzliche Auffassung zurück, daß jegliche äußerliche Beschreibung der Figuren zu unterbleiben habe.)
 
Ich lobe mir deinen Mut, @millamomud, deine Urheberschaft jenes anonymen Kommentars nachträglich öffentlich zu machen! Denn wie du vielleicht inzwischen selber erfahren durftest (oder vielleicht mußtest?), sind kritische Kommentatoren hier nicht gerade wohlgelitten. Auch lobe ich mir die Ausführlichkeit und Genauigkeit deiner kritischen Anmerkungen zu jener Veröffentlichung von @Leurot: Das ist beispielgebend für alle anderen, die hier Kommentare abgeben, abgegeben haben oder dies in Zuknft zu tun gedenken!

Nun zu deiner Antwort auf meine Einlassungen zur Charakterzeichnung und Figurenbeschreibung: Es freut mich natürlich, daß du die vorgeschlagene Unterscheidung hilfreich findest! Und in der Tat, es mag gewisse Überschneidungen mit der aus dem englischen Sprachraum stammenden Unterscheidung zwischen flat und round characters geben, allerdings reichen die vielleicht vorhandenen Überschneidungen längst nicht hin, um von Deckungsgleichheit reden zu können (was du ja, sofern ich dich richtig verstehe, auch glücklicherweise nicht tust)! Auch eine im Sinne meiner vorgeschlagenen Unterscheidung charakterlich gezeichnete Figur könnte "flach" bleiben, denn Charakterzeichung selbst ist erst einmal nur eine formale Sache; über ihre eigentliche Güte ist damit noch nichts ausgesagt.

Dein Widerspruch zu meiner Forderung nach Figurenbeschreibung, insbesondere in Rücksicht des erotischen oder pornographischen Erzählens, überrascht mich nicht, denn wie ich bereits in jenem von dir zitierten Beitrag anführte, weiß ich um die weite Verbreitung der auch von dir vertretenen Auffassung, daß Figuren als leere "Projektionsflächen" für den Leser zu dienen hätten. Dieser Auffassung liegt, denke ich, eine funktionalistische Sicht auf das Erzählen allgemein zugrunde: jeder (analysierbare) Bestandteil x einer Geschichte erfülle eine Funktion T in bezug auf, wahlweise, a) den (idealen) Leser K oder b) Erzähltheorie M.

Du selber führst sowohl a) als auch b) ins Feld: einmal, weil das Unterlassen der Figurenbeschreibung die Funktion erfülle, den Leser in die Lage zu versetzen, seine eigenen Vorlieben, was das äußerliche Erscheinungsbild anlangt, auf die jeweilige Figur zu übertragen ("Projektionsfläche"); zum anderen, weil die von dir bevorzugte Erzähltheorie fordere, daß alles, was nicht dem "Plot" diene, zu unterlassen sei, und du Figurenbeschreibung scheinbar als irrelevant für den "Plot" erachtest ("Handlung" vs. "Physis").

Meine Forderung nach Figurenbeschreibung, insbesondere in Rücksicht des erotischen oder pornographischen Erzählens, gründet hingegen nicht auf einer funktionalistischen Allgemeinsicht. Daher teile ich nicht die Grundannahme, von der du ausgehst, und deshalb gelange ich auch nicht zu den Schlüssen, die du ziehst – sondern vielmehr zu ihrem genauen Gegenteil! Das erotische oder pornographische Erzählen ist eigener Art, es kann deshalb nicht einfach den allgemeinen Regeln einer funktionalistischen Textanalyse unterworfen sein. Wie Susan Sontag in ihrem wegweisenden Aufsatz "The Pornographic Imagination" herausgearbeitet hat, kommt der Pornographie (oder dem Erotischen) ein eigener Zugang zur Wirklichkeit oder "Wahrheit" zu, der von einer Überschreitung des gewöhnlichen Bewußtseins und der durch den Verstand (im Gegensatz zum Leib) gezogenen Grenzen herrührt. Die funktionalistische Sicht jedoch ist bestimmter Ausdruck ebendieses gewöhnlichen Bewußtseins, das vom Verstand (und nicht dem Leib) regiert wird! Also kann die funktionalistische Sicht dem erotischen oder pornographischen Erzählen schlechterdings nicht gerecht werden.

Zu deinen zwei Beispielen aus deinem eigenen Schreiben: Ich habe die jeweiligen Geschichten, denen sie entstammen, nicht gelesen, deshalb sind meine folgenden Ausführungen natürlich nur cum grano salis zu nehmen, aber in beiden Geschichten, soviel ist ersichtlich, haben wir es offenbar mit einem (weiblichen) figuralen Ich-Erzähler zu tun. Der Natur dieser Fokalisierung ist geschuldet, daß der (leibliche) Blick des Erzählers grundsätzlich auf andere und nicht auf sich selber gerichtet ist, weshalb eine umstandlose Selbstbeschreibung stets Gefahr liefe, unnatürlich zu wirken. Jedoch schließt das zum einen keineswegs die (äußerliche) Beschreibung der anderen Figuren aus; und zum anderen eröffnet auch diese Fokalisierung dem geschickten Schreiber zahllose Möglichkeiten, um die Figur des Ich-Erzählers auf natürliche Weise (äußerlich) zu beschreiben, sowohl mittelbar (z. B. durch Bemerkungen anderer Figuren über das Äußere des Ich-Erzählers) als auch unmittelbar (z. B. durch Gedanken oder Antworten des Ich-Erzählers selber auf jene Bemerkungen anderer Figuren).

Du siehst, @millamomud, auch in bezug auf einen figuralen Ich-Erzähler kann meine Forderung nach Figurenbeschreibung ohne weiteres aufrechterhalten und erfüllt werden! (Zur Verdeutlichung meines ursprünglichen Punktes sei an der Stelle angemerkt, daß ich nicht forderte, daß stets alle Figuren einer erotischen oder pornographischen Geschichte [äußerlich] beschrieben werden müßten; ich wies vielmehr die gegensätzliche Auffassung zurück, daß jegliche äußerliche Beschreibung der Figuren zu unterbleiben habe.)


Ich möchte an dieser Stelle betonen, dass ich Figurenbeschreibung keineswegs pauschal ablehne. Was ich für mich reklamiere, ist ein selektives Einsetzen. Wenn eine äußerliche Beschreibung dramaturgisch trägt, wie im Fall Clara, hat sie ihren Platz. Wenn sie die Handlung nicht voranbringt oder eher als Ballast wirkt, lasse ich sie bewusst weg. Vielleicht bin ich da Sinne von Tschechows Gewehr zu minimalistisch unterwegs – die Kappe ziehe ich mir gerne an, und ich werde das bei künftigen Veröffentlichungen zumindest darüber nachdenken.

Im Fall von Louisa war es allerdings eine bewusste Entscheidung, die Figur als Projektionsfläche offenzuhalten. Sie könnte für den Leser ein pummeliges Mauerblümchen sein, sie könnte aber genauso gut das „Mädchen von nebenan“ verkörpern. Für mich war das Teil der erzählerischen Offenheit.

Du hast allerdings recht, dass es bei meinen figuralen Ich-Erzählerinnen eine strukturelle Ursache gibt, warum Beschreibungen bei mir oft in den Hintergrund treten. Aus der Innenwahrnehmung heraus – Scham, Körperreaktionen, Gedanken – wirken Selbstaussagen über Haarfarbe oder Proportionen schnell künstlich. Natürlich gibt es Mittel, das elegant einzubinden (wie du skizzierst, etwa über Bemerkungen anderer Figuren). Aber ich wollte hier vor allem betonen: Ich sehe nicht nur die Notwendigkeit von Beschreibung, sondern auch die Daseinsberechtigung ihres Gegenteils.

In deinem Fazit sehe ich tatsächlich keinen Widerspruch zwischen uns, wir argumentieren nur spiegelverkehrt. Du betonst, dass Figurenbeschreibung nicht kategorisch ausgeschlossen werden darf, ich betone, dass sie nicht kategorisch erzwungen werden sollte. Im Ergebnis plädieren wir beide für eine bewusste, funktionale Setzung.

Den von dir angeführten Aufsatz von Susan Sontag kenne ich bislang nicht – ich habe mich dem Thema eher aus einer anderen Richtung genähert. Deine Zusammenfassung macht mich aber neugierig, ich werde mir den Text gerne für spätere Referenzen ansehen.

Ohne dem Aufsatz vorgreifen zu wollen, glaube ich allerdings, dass „funktionalistische Sicht“ und die Offenhaltung von Figuren als Projektionsfläche nicht zwingend gleichzusetzen sind. Leser:innen können sich auch sinnlich und leiblich einfühlen, ohne dass Haarfarbe oder Körpergröße festgeschrieben werden. Meine Betonung der Innenwahrnehmung – Hitze, Atem, kleine Körperreaktionen, wie beispielsweise Gänsehaut – versucht genau das: Körperlichkeit zu transportieren, nur eben von innen heraus statt über visuelle Fixierung.
 
Was ich gerne erfahren würde, ist, welchen Gewinn für eine erotische oder pornographische Geschichte du, @millamomud, in der von dir sogenannten "erzählerischen Offenheit", d. h. dem Unterlassen der Figurenbeschreibung, siehst?

Daß du mit Blick auf die vielfältigen Vorlieben der Leserschaft einen funktionalen Vorteil in der "Offenhaltung von Figuren als Projektionsfläche" zu erkennen vermeinst, hast du ja deutlich gemacht; aber über diese funktionalistische Sicht hinaus, inwiefern stärkt es deine Geschichte, wenn niemand weiß, wie die Figuren aussehen? Wieso erkennst du darin keine (potentielle) Schwächung der Geschichte? Schaffst du damit nicht (unfreiwillig?) Leerstellen, wo vielmehr Bedeutendes vermittelt werden könnte?

Deine Zusammenfassung, daß wir beide für eine "funktionale Setzung" plädieren würden, muß ich zurückweisen; wie ich oben bereits schrieb, gründet meine Auffassung vom erotischen oder pornographischen Erzählen nicht auf einer funktionalistischen Allgemeinsicht. Auch deine "Betonung der Innenwahrnehmung" scheint letztlich aus einer funktionalistischen Sicht zu folgen, dient diese offenbar doch nur dazu, daß der Leser sich "sinnlich und leiblich einfühlen" können solle, ohne durch eine "visuelle Fixierung", die womöglich seinen Vorlieben widerspräche, verprellt zu werden.

Meine ursprüngliche Argumentation in diesem Strang war vorranging zwar gegen den Gideschen Lehrsatz gerichtet, daß jegliche Figurenbeschreibung zu unterlassen sei, aber meine eigene Forderung geht ganz klar über die bloße Feststellung hinaus, daß Figurenbeschreibung nicht "kategorisch" ausgeschlossen werden dürfe. Wie eingangs klargelegt, vertrete ich vielmehr die Auffassung, daß Figurenbeschreibung wesentlich zum erotischen oder pornographischen Erzählen dazugehört und letztlich notwendig ist, um dem Sinn dieses Erzählens vollkommen Ausdruck zu verleihen. Figurenbeschreibung zu unterlassen, führt folglich unvermeidlich zur Unvollkommenheit des erotisch oder pornographisch Erzählten!
 
Was ich gerne erfahren würde, ist, welchen Gewinn für eine erotische oder pornographische Geschichte du, @millamomud, in der von dir sogenannten "erzählerischen Offenheit", d. h. dem Unterlassen der Figurenbeschreibung, siehst?

Daß du mit Blick auf die vielfältigen Vorlieben der Leserschaft einen funktionalen Vorteil in der "Offenhaltung von Figuren als Projektionsfläche" zu erkennen vermeinst, hast du ja deutlich gemacht; aber über diese funktionalistische Sicht hinaus, inwiefern stärkt es deine Geschichte, wenn niemand weiß, wie die Figuren aussehen? Wieso erkennst du darin keine (potentielle) Schwächung der Geschichte? Schaffst du damit nicht (unfreiwillig?) Leerstellen, wo vielmehr Bedeutendes vermittelt werden könnte?

Deine Zusammenfassung, daß wir beide für eine "funktionale Setzung" plädieren würden, muß ich zurückweisen; wie ich oben bereits schrieb, gründet meine Auffassung vom erotischen oder pornographischen Erzählen nicht auf einer funktionalistischen Allgemeinsicht. Auch deine "Betonung der Innenwahrnehmung" scheint letztlich aus einer funktionalistischen Sicht zu folgen, dient diese offenbar doch nur dazu, daß der Leser sich "sinnlich und leiblich einfühlen" können solle, ohne durch eine "visuelle Fixierung", die womöglich seinen Vorlieben widerspräche, verprellt zu werden.

Meine ursprüngliche Argumentation in diesem Strang war vorranging zwar gegen den Gideschen Lehrsatz gerichtet, daß jegliche Figurenbeschreibung zu unterlassen sei, aber meine eigene Forderung geht ganz klar über die bloße Feststellung hinaus, daß Figurenbeschreibung nicht "kategorisch" ausgeschlossen werden dürfe. Wie eingangs klargelegt, vertrete ich vielmehr die Auffassung, daß Figurenbeschreibung wesentlich zum erotischen oder pornographischen Erzählen dazugehört und letztlich notwendig ist, um dem Sinn dieses Erzählens vollkommen Ausdruck zu verleihen. Figurenbeschreibung zu unterlassen, führt folglich unvermeidlich zur Unvollkommenheit des erotisch oder pornographisch Erzählten!


Deine Nachfrage nach dem „Gewinn“ meiner erzählerischen Offenheit ist berechtigt, und ich möchte versuchen, das präziser zu fassen.


Für mich besteht der Gewinn nicht im bloßen Weglassen, sondern im Verschieben des Fokus. Statt meine Figuren von außen zu rahmen, will ich die Leser:innen in sie hineinversetzen: Was sie fühlen, wie Scham oder Stolz sie überfallen, wie sie Atem, Temperatur, Körperreaktionen erleben – das sind die entscheidenden Signale. Das ist keine Leerstelle, sondern eine andere Form von Vermittlung. Deswegen halte ich mich im Moment auch bewusst vom auktorialen Erzählen fern.


Gerade bei Louisa wäre eine detaillierte Figurenbeschreibung sogar kontraproduktiv gewesen. Sie lebt als Figur von Ambivalenz: Studentin, WG-Konflikte, allmähliche Hingabe. Hätte ich sie äußerlich festgelegt – ob als pummeliges Mauerblümchen oder als attraktives Mädchen von nebenan – hätte ich ihr damit eine gewisse Oberflächlichkeit eingeschrieben, die die literarische Tiefe eher geschmälert hätte. (sofern man die meinen Texten überhaupt zuschreiben kann) Denn bei ihr ging es mir nicht um "wie sieht sie aus?", sondern um "wie verändert sie sich?".


Ich glaube daher nicht, dass Louisa unvollständig ist oder etwas vermissen lässt, nur weil ich ihre Körpergröße, Körbchengröße, ihr Gewicht, die Ausprägung ihrer Schamlippen oder die Farbe und Struktur ihrer Schamhaare nicht beschrieben habe. Für mich lag die Stärke dieser Geschichte gerade darin, dass sie über Handlung, Dynamik und Innenwahrnehmung erzählt wird, nicht über einen Katalog äußerlicher Merkmale.


Die Leser:innen wissen sehr genau, wer Louisa ist: weil sie miterleben, wie sie fühlt, wie sie Entscheidungen trifft oder vermeidet, wie sie im WG-Gefüge Stück für Stück in eine andere Rolle hineinrutscht. Das ist für mich vollständige Charakterzeichnung – auch ohne detaillierte Körperbeschreibung.
 
Danke für die vertiefende Antwort! Die Besonderheit des Ich-Erzählers kam ja bereits zur Sprache, und du hast völlig recht, daß in seinem Falle das Weglassen zumindest der (äußerlichen) Beschreibung seiner Figur vergleichsweise naheliegt.

Du hebst das "Verschieben des Fokus" hervor, jedoch, würde ich sagen, schließt eine Darstellung der Innenwelt einer Figur (Gefühle, Selbstwahrnehmungen usf.), selbst in stark betonter Weise, gar nicht die Außendarstellung aus! Warum sollte dem auch so sein?

Ich würde jedenfalls sagen, daß zu einer vollkommenen Darstellung einer erfundenen Figur beide Seiten gehören: sowohl die innere als auch die äußere. Außergewöhnliche erzählerische Kniffe außer acht gelassen (z. B. das Verschweigen des Aussehens des Mörders in einem Krimi), bleibt bei mir, wenn die Außendarstellung unterlassen wird, in der Regel der Eindruck zurück, daß irgend etwas fehlt bzw. der Schreiber sich scheinbar selber kein klares Bild von seiner eigenen erfundenen Figur gemacht hat, denn andernfalls hätte er ebendieses Bild ja ohne weiteres seiner Leserschaft mitteilen können. Oder nicht?

Schließlich, und das sollte nicht leichtfertigt mißachtet werden, denke ich, bringt der Schreiber, der die Außendarstellung unterläßt, sich selber um die Gelegenheit, Zusammenhänge und Wechselwirkungen zwischen dem Aussehen seiner erfundenen Figur und der Welt, in der sie sich bewegt und die auf sie zurückfärbt, kenntlich und deutlich machen zu können! Die Mitmenschen werden beispielsweise auf eine 1,85 m große Frau ganz andere Reaktionen zeigen als auf eine, die 1,65 m mißt – und beide werden allein schon aufgrund ihrer unterschiedlichen Körpergröße ganz andere Erfahrungen und Prägungen mitbringen (was wiederum mit ziemlicher Sicherheit nicht ohne Auswirkung auf ihre jeweiligen Innenwahrnehmungen bliebe, sofern diese denn zu schildern wären).
 
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