KI & Co.

Coolflame

Virgin
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Nov 29, 2006
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Mir ist bewusst, dass dieses Thema in diverser Form bereits in vielen anderen Threads thematisiert wurde. Bei den meisten scheint mir die vorherrschende Meinung eher abwertend bis komplett negativ zu sein. Und bis vor gar nicht allzu langer Zeit wäre auch ich tendenziell negativ eingestellt gewesen.

Die Argumente dafür sind naheliegend: die Vorstellung, eine "Maschine" einfach Text produzieren zu lassen hat nichts mit dem klassischen Zugang zum kreativen Prozess zu tun. Dies basiert aber weitgehend (etwas vereinfacht ausgedrückt) auf der Vorstellung, dass die Erstellung nach dem Schema "Hey KI, erstelle mir einen Text mit folgendem Inhalt" abläuft.

Ich habe in anderen Bereichen vermehrt Kontakt zum Thema KI und habe mich in letzter Zeit einmal mit etwas Ehrgeiz (und Interesse) dem Thema etwas anders genähert - und zwar mit der Frage, ob es möglich sein kann, die technischen Möglichkeiten so zu "justieren", dass mit einem gewissen Aufwand sowohl Stil als auch Inhalt ohne nennenswerten Kontrollverlust in "Content" umgewandelt werden können.

Mittlerweile bin ich ziemlich überrascht, wie weit ich das mit "ja" beantworten kann. Ich habe ein paar Beispiele produzieren können, die sehr genau das treffen, was ich sonst selbst geschrieben hätte, ohne den Zeitaufwand betreiben zu können. Bei einigen Arbeitstiteln würde ich sagen, dass der Inhalt locker mit den oberen 5%-10% der Titel im Lit-Katalog mithalten kann. Dafür habe ich einigen Initialaufwand betrieben und konfiguriert, optimiert, getestet, den eigenen Stil beschrieben und so weiter - allerdings gibt es jetzt eine Basis, wo es echt Spass macht...

Mit ist vollkommen klar, dass sich an dem Thema die Geister scheiden werden. Vermutlich würden die meisten Autoren so einen Ansatz kategorisch ausschliessen, was ich komplett verstehe. Andererseits glaube ich mittlerweile, dass dies möglicherweise grossartige Chancen komplett brach liegen lässt und wahrscheinlich auch einen Aspekt vernachlässigt: Was wollen die Leser eigentlich? Möchten sie hochwertigen Content, dessen Inhalt ihnen gefällt und der sie unterhält oder inspiriert? Wahrscheinlich ja - aber wie viele davon würden sich nicht mehr unterhalten fühlen, wenn der kreative Weg dorthin einfach anders stattgefunden hat? Ein etwas hinkender (und hier bewusst provokativ von mir benutzter) Vergleich wäre allenfalls eine Art dogmatische Einstellung a la "Diese Musik via Streaming ist nichts für mich, ich brauche eine CD in der Hand."

Und wie gesagt: ich rede nicht (!!) von einer Art generischen, anonymen Massenproduktion via Maschine nach Schema F, sondern von etwas - aus meiner Sicht - völlig anderem.

Dies würde ich gern einmal zur Diskussion stellen - und ich freue mich über alle Inputs, obwohl ich weiss, dass die Tendenz vermutlich negativ ausfallen wird.

Umso mehr wäre es natürlich interessant, einen Austausch mit Leuten zu etablieren, die dem Thema offen gegenüberstehen, oder die vielleicht sogar Interesse an Ideen zu einer Art Gemeinschaftsprojekt ausloten wollen ...

Ich bin gespannt.
 
Ich würde mich gerne an einer differenzierten Antwort versuchen und würde gern aus mehreren Perspektiven anknüpfen:

Einerseits kann ich die Haltung vieler Kunstschaffender gut nachvollziehen: Wer über Jahre Stil, Rhythmus, Figurenzeichnung und innere Logik eines Textes kultiviert hat, für den fühlt sich der Einsatz von KI schnell wie eine Entwertung des Handwerks an, vor allem, wenn Charaktere eben nicht „erfunden“, sondern entwickelt wurden. Zeit, Mühe und Herzblut stehen dann im Raum.

Andererseits: Pandoras Box ist offen. Die Diskussion hat sich längst verschoben von ob zu wie man KI nutzt. Und da wird es spannend.

Ein Vergleich aus der Kunstgeschichte: Als die Fotografie aufkam, wurde auch sie zunächst als „mechanisch“ und unkünstlerisch abgetan. Der Vorwurf: gleichförmige Ergebnisse, kein subjektiver Ausdruck. Und doch hat sich die Fotografie als eigene Kunstform etabliert, die Malerei verschwand nicht, sondern entwickelte sich weiter. Auch heute leben beide nebeneinander, jedes mit eigenem Anspruch und Publikum. Die Digitalkamera hat den Beruf des Fotografen auch nicht überflüssig gemacht, sie hat ihn nur verändert. Ebenso das Smartphone.

Ich denke, Ähnliches steht dem Schreiben bevor. LLMs sind Werkzeuge. Wie der Buchdruck, die Schreibmaschine oder das Textverarbeitungsprogramm zuvor. Ob sie flach oder faszinierend eingesetzt werden, hängt nicht von der Maschine ab, sondern vom Menschen der es nutzt.

Und vielleicht helfen sie sogar, eine neue Vielfalt zu ermöglichen: Menschen mit guten Ideen, aber sprachlicher Hürde, etwa bei Dyslexie, Legasthenie oder oder Nicht-Muttersprachler, könnten damit erzählerisch anschlussfähig werden. Die Tools wären dann kein Ersatz für Talent, aber ein Brückenbauer für Ausdruck.

Aber nur, wenn man es ernst nimmt. Niemand will in 5 Minuten dahingerotzte Wichsphantasien lesen.
Wer mit KI arbeitet, sollte es bewusst tun, nicht als Knopfdruck, sondern als Instrument. Und dazu gehört eben auch die Überarbeitung, das Nachschärfen, die eigene Stimme finden, und allem voran: eine Idee haben. Und ja, auch ein Lektorat. Einige Texte hier, ob KI oder nicht, könnten das wirklich gut gebrauchen. 😉

Im Gegensatz zu den Clowns vom "Verein Deutsche Sprache" (sorry, aber irgendwer muss es sagen) stehen die meisten Linguist:innen, die ich im Studium erlebt habe (vor und hinter dem Pult), dem Sprachwandel erstaunlich entspannt gegenüber. Sprache lebt, verändert sich, nimmt neue Register und Techniken auf, das ist kein Verfall, sondern Normalität.

Wie sich das Verhältnis von Textproduktion, Autorschaft und Ausdruck durch LLMs verändert, wird sich zeigen. Ich weiß allerdings noch nicht, wie die akademische Sprachwissenschaft zur KI-Nutzung steht, dafür ist mein Studium zu lange her. Das dürfte in den nächsten Jahren ein spannendes Feld werden.
 
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