Der Chaos-Faktor

PoppingTom

TEH BRAIN
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Jan 8, 2010
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Ich mag Filme mit Jackie Chan. Wer mag die nicht? Ist ja nicht nur, wie er kämpft, sondern auch, wie er ständig improvisiert. In "Spion wider Willen" rennt er nackt durch einen Basar, sucht ständig nach etwas, um sein bestes Teil zu verstecken, und muss damit gleichzeitig seine Verfolger unschädlich machen. Es sind solche Szenen, die ihn von den ganzen anderen Action- und Kung-Fu-Stars abheben: er lässt keine Gelegenheit aus zu zeigen, dass er eigentlich doch nur ein Mensch ist. Nicht der unschlagbare Übermensch oder Halbgott, als den sich Hollywood-Actionstars gerne generieren.

Und genau deshalb zittert man mit, wenn er, wie in "Rumble in the Bronx", plötzlich in einer für ihn nicht zu kontrollierenden Situation ist. In eine Häuserecke gehetzt, wo er nicht wegkann. Mit Flaschen beworfen. Man sieht: jetzt ist er dran, jetzt kann er sich nicht wehren, ist er ihnen ausgeliefert. Für mich ist das die beste Szene des ganzen Films: er kommt aus dieser Situation, ohne sich zu prügeln. Er hat einfach Glück. Die Rockerbande oder was immer sie auch ist, zerstreitet sich mit den Mädels da drin so sehr, dass sie plötzlich keine Lust mehr aufs Fertigmachen haben, weil der eine da "total die Atmosphäre zerstört" hat.

Willkommen im Chaos. In dem, was der Deutsche im täglichen Leben so sehr fürchtet. Die selben Leute, die ellenlange Schimpftiraden an die Verkehrsbetriebe schreiben, wenn der Bus mal 5 Minuten zu spät kommt, gucken sich abends pünktlich um 20.15 Uhr nach der Tagesschau einen Film an, wo Mittagspause, Feierabend, Verkehrs- und Benimmregeln und überhaupt stinknormale Leute hoffentlich nicht vorkommen. Und wenn doch, dann will man sehen, wie sie gequält werden. Nicht (immer) aus Schadenfreude. Sondern (meist) weil es....ähm....spannend ist.

Netterweise gibt es auch Filme, wo Spannung nicht durch das Plattmachen ganzer Stadtteile geschaffen wird. Manchmal bedarf es dazu lediglich zweier Menschen, die sich ineinander verlieben. Liebe ist eine wunderschöne Sache. Die Schmerzen, die es in einem auslösen kann, weniger. Spannung können wir aber nur im Wechselspiel der beiden erzeugen. Liebe ohne Probleme ist langweilig. Liebe mit nur Problemen ist grässlich. Wir fiebern zwar gerne mit. Aber wir wollen uns nicht quälen. Wir wollen jetzt aber auch nicht krampfhaft Dinge zu Problemen machen, die eigentlich keine sind und mit etwas mehr Coolness nicht der Rede wert wären. Auch wenn die eine oder andere billige Fernsehserie dazu neigt, genau das zu tun.

Und genau hier hilft das Chaos. Flugzeuge, die nicht starten können, weil Flugsperre ist, sind eine furchtbare Sache im normalen Leben, verhelfen der Titelheldin in Adriana Popescus "Versehentlich verliebt" aber zu einer Bekanntschaft, in der sie sich verliebt. Selbstverständlich nicht sofort. Wäre ja langweilig. Nein, sie muss ihn erst mal hassen, weil er - in diesem Falle - erstmal ein Klischee bedient, welches sie gar nicht mag. Und erst nachdem sie uns solange erzählt hat, was sie alles an ihn hassenswert findet, erst dann bekommt er die Chance, sich von seiner netten, charmanten Seite zu zeigen. Und weil die Geschichte in dem Moment, wo sich die Titelheldin in ihn verliebt und mit ihm zusammen abhebt, schon wieder anfängt, vor lauter positiven Seiten langweilig zu werden, MUSS etwas passieren. Etwas, das die ganze Geschichte wieder zurückwirft. Trennung, weil ihr Flugzeug abhebt. Zurück zu Hause, sie stellt sich darauf ein, ihn nie wieder zu sehen. Ja, Schreiber sind Fieslinge. Aber der Kerl muss schliesslich seine Chance bekommen, sich noch mehr von seiner Schokoladenseite zu zeigen. Und sie braucht Gründe, vor Freude regelrecht zu schluchzen. Wir brauchen auch diese Gründe, damit wir mitschluchzen können. Also noch mehr Chaos. Noch mehr Verrücktheit.

Der Chaos-Faktor ist beim Geschichtenerzählen nicht auf den Überbau der Geschichte begrenzt. Er findet auch im Kleinen, zum Beispiel während der Dialoge, statt. Ein spannender Dialog lässt offen, in welche Richtung er sich bewegt. Es kann so spannend sein wie ein Kampf zu sehen, wie sich jemand rausredet. Oder durch Worte dem Geschehenen eine neue Wertung verpasst. Oder Fragen beantwortet, die neue Probleme sichtbar machen. Oder, wie im Falle einer Liebesgeschichte, Sympathie mit Kleinigkeiten schafft.

Gute Geschichten schaffen es meisterlich, Erwartungen aufzubauen und dann das genaue, unerwartete Gegenteil zu machen. Im normalen Leben wäre das chaotisch.

Obwohl....das Leben IST eigentlich chaotisch. Die ganze Zeit. Viele Leute schaffen es nur, dem Chaos ein bisschen zu entkommen. Leider ist das als Geschichte meist alles andere als spannend.
 
Ich kenne nur die Chaostage in Hamburg,
intern auch als Polizeisportfest bekannt.
*Knüppel frei*
 
Ich sags mal so, das Chaos ist scheiße wenn es einem erwischt.

Aber wenn alles nur so laufen würde wie geplant, dann wäre es stink langweilig.

Ich kann mir gar nicht vorstellen mein Leben bis zum Ende zu planen, es wird dauernd was passieren und ich werde immer sehen was sich jetzt gerade in der Situation drauß machen lässt.

Bei den Geschichten die ich bisher schreibe besteht der Witz auch darin, dass die Dinge eben nicht laufen wie sie sollten.

ps.:
Es ist schwer Verspätung von Bus oder Bahn in eine vernünftige Geschichte zu verabeiten, meistens sind die Leute doch nur genervt, vielleicht beim Fliegen wenn man eine sehr lange Verspätung hat (unerwarteter Hotelaufenthalt ...)
 
Es ist schwer Verspätung von Bus oder Bahn in eine vernünftige Geschichte zu verabeiten, meistens sind die Leute doch nur genervt, vielleicht beim Fliegen wenn man eine sehr lange Verspätung hat (unerwarteter Hotelaufenthalt ...)

Ach, es gibt noch genügend anderes Chaos.

Rohrbruch (Klempner fickt Hausfrau)
Einbruch (Einbrecher fickt Hausfrau, muss nicht zwangsweise non-consent sein)
Unfall ( Unfallbeteiligte verlieben sich ineinander, ein Entschuldigungbesuch endet in einen Fick )
Fahrstuhl bleibt stecken (der Film "Abwärts" hatte da eine gelungene Sexszene)
Erdbeben (Beteiligte retten sich gegenseitig und haben Sex, bis Rettung kommt)

Eigentlich ist eine Busverspätung wirklich nichts Dramatisches....
 
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